Leopold Klein

Verlegeort
Düsseldorfer Straße 6
Bezirk/Ortsteil
Wilmersdorf
Verlegedatum
15. Juni 2022
Geboren
04. August 1893 in Berlin
Beruf
Tuchhändler
Flucht
1939 Kuba, Einreise verweigert
Deportation
am 01. Juni 1940 nach Westerbork
Später deportiert
am 18. Januar 1944 nach Theresienstadt
Später deportiert
am 28. September 1944 nach Auschwitz
Ermordet
30. September 1944 in Auschwitz

Leopold Klein wurde am 4. August 1893 in Berlin geboren. Er war ein erfolgreicher Tuchhändler und heiratete Anfang der 1920er Jahre die zehn Jahre jüngere Luise Tannenbaum. Die beiden wohnten zunächst in der Neuenburger Straße 31 in der Nähe des Halleschen Tors. Am 8. Juni 1927 kam Tochter Hannelore zur Welt. Im Jahr 1930 erfolgte der Umzug in die Düsseldorfer Straße 6. Es war der letzte frei gewählte Wohnsitz der Familie.

Aufgrund der zunehmenden Repressionen gegen Jüdinnen und Juden zogen die Kleins nach der Pogromnacht 1938 für einige Monate zur ebenfalls in Berlin lebenden Schwester Luises, Rosie in die Düsseldorfer Straße 68. Dort lebten seit September 1938 bereits Leopolds Schwiegereltern Karl und Malchen Tannenbaum-Schloß. Rosies Ehemann, James Friedmann, ein Buchhändler, war bereits 1938 nach Argentinien ausgewandert, um dort die Möglichkeiten für einen Neustart für sich und seine Familie auszuloten. Den in Berlin Zurückgebliebenen schien sich im Frühjahr 1939 die Gelegenheit zu bieten, seinem Beispiel zu folgen. Eine amerikanisch-jüdische Organisation (Joint Distribution Committee) hatte mit der Hamburg-Amerika-Linie der Hapag-Reederei einen Transport von Flüchtlingen nach Kuba organisiert. Am 13. Mai 1939 legte die MS St-Louis von Hamburg aus mit Ziel Havanna ab.

Das schon vielfach beschriebene Drama um die schließlich verweigerte Einreise aller an Bord der St. Louis Befindlichen in Kuba soll hier nicht wiederholt werden – vieles erinnert an die Probleme heutiger Rettungsschiffe mit Flüchtlingen im Mittelmeer. Das (vorläufige) Ende war, dass das Schiff am 17. Juni 1939 schließlich die Erlaubnis zum Einlaufen in den Hafen von Antwerpen bekam. Wer nicht zu den 287 in England aufgenommenen Flüchtlingen gehörte, fand damit zunächst Aufnahme in Frankreich, Belgien und den Niederlanden. Die Familien Klein, Tannenbaum und Friedmann gelangten kurz darauf nach Rotterdam und weitere sechs Wochen später nach Amsterdam, wo den Flüchtlingen das von regulären Gästen geräumte Lloyd-Hotel im Amsterdamer Hafen als Unterkunft zugewiesen wurde. (Die Großeltern, sowie Schwägerin und deren Tochter als Pflegerinnen, brauchten – gewissermaßen „frei“ – nicht im Lloyd-Hotel zu wohnen.)

In Amsterdam konnten sich die Familien zunächst sicher fühlen. Nach dem Überfall Deutschlands auf die Niederlande im Mai 1940 kamen sie jedoch erneut in den Einflussbereich ihrer deutschen Häscher. So wurden die Kleins schon im Juni 1940 – wie alle im Hotel Internierten – ins Sammellager Westerbork deportiert. Die Großeltern nebst Schwägerin und ihrer Tochter folgten im Jahr 1942. Von hier wurden sie im Januar 1944 in das Konzentrationslager Theresienstadt (heute: Terezín) deportiert. Der Frontkämpferstatus von Großvater Karl und Vater Leopold hatte die Familien bisher vor der Deportation geschützt.

Am 30. September 1944 wurde Leopold Klein von Theresienstadt nach Auschwitz deportiert und dort ermordet. Seine Frau Luise folgte ihm nur wenige Tage später, am 6. Oktober. Tochter Hannelore, im selben Transport wie ihre Mutter, entkam nur durch die Einteilung als Arbeitsfähige. So wurde sie kurz darauf zur „Vernichtung durch Arbeit“ ins Außenlager Freiberg in Sachsen deportiert, von wo sie im Februar 1945 am Horizont das Bombardement auf Dresden als Feuerschein erlebte. Gegen Ende des Krieges, nach ihrer Erinnerung „ungefähr im März" wurde Hannelore über verschlungene Wege per Zug ins Lager Mauthausen in Österreich verfrachtet, wo sie am 6. Mai 1945 von der US-Army befreit wurde.

Über Umwege – unter anderem über die französischen Repatriierungslager Carnon bei Reims (Mai und Juni) und Pignerolles bei Angers (Juni bis Mitte Oktober) – gelangte sie am 15. Oktober 1945 zurück nach Amsterdam, wo sie zunächst mit den Großeltern, der Tante und Cousine zusammenwohnte.

Zunächst bestanden Pläne für eine Auswanderung nach Israel, doch im Oktober 1950 kehrte sie wegen einer ernsten Erkrankung ihres Großvaters Karl von einem Besuch in Haifa nach Amsterdam zurück und lernte ihren aus Berlin stammenden späteren Ehemann Hermann Grünberg kennen. Dieser war 1938 mit seiner Mutter in die Niederlande geflohen und hatte sich hier zwischen 1941 und 1945 an gut vierzig verschiedenen Adressen versteckt. Bis zur Eheschließung von Hannelore und Hermann sollte es jedoch noch bis zum Jahr 1961 dauern.

Das Ehepaar blieb in Amsterdam. 1963 wurde hier auch die Tochter Maniou-Louise und im Jahr 1971 Sohn Arnon geboren. Im Jahr 1990 verfasste Hannelore Grünberg-Klein unter dem Titel „Solange es noch Tränen gibt", zuerst als privates Memoire, ihre Jugend- und Lagererinnerungen, die im Jahr 2015 auf Niederländisch, im Jahr 2016 auf Deutsch unter dem Titel „Ich denke oft an den Krieg, denn früher hatte ich dazu keine Zeit“ erschienen sind. Vater Hermann Grünberg verstarb am 24. November 1991 in Amsterdam. Er wurde in Israel, und zwar in Jerusalem, begraben. Hannelore Grünberg-Klein starb am 9. Februar 2015 in Amsterdam. Ihr Grab befindet sich ebenfalls in Jerusalem.

In den Jahren vor ihrem Tod kam Hannelore wiederholt in Beiträgen ihres Sohnes Arnon für diverse niederländische Zeitungen und Zeitschriften vor. Einen dieser Texte möchte ich hier noch zitieren:

('Voetnoot', Volkskrant 07.07.2010)

Seit ein paar Wochen geht es meiner Mutter nicht so besonders.

Am Nachmittag besuche ich sie. Als ich komme, steht die Haustür schon offen;  Angst vor Einbrechern hat sie offenbar nicht mehr.

Zum Ausruhen legt sie sich gern im Wohnzimmer neben dem Sofa auf den Boden. Danach trinkt sie im Garten einen halben Liter Holundersaft.

Gestern erzählte sie mir: „Als wir '39 im Lloydhotel in Amsterdam untergebracht waren, war ich in einen jungen Burschen verliebt;"

wie Hannelore Grünberg-Klein an anderer Stelle erzählt, kannte sie den 1913 Geborenen aus seiner Eigenschaft als Junglehrer in Berlin –

...er hieß Alfred Walter, und ich bin ihm überall hinterhergelaufen. Er ist zusammen mit seiner Mutter nach Auschwitz gekommen, und da haben sie ihn ermordet. Niemand aus der ganzen Familie hat überlebt. Niemand denkt mehr an ihn. Der Pfleger, der abends immer zu mir kommt, meint, es ist gut, wenn ich seinen Namen laut ausspreche.“

Auf dem Tisch, neben ihrem Glas Holundersaft, lag ein Stück Schokolade.

Es ist gut, wenn jemand seinen Namen laut ausspricht“, stimmte ich ihr zu.

Arnon Grünberg, Amsterdam, 6. Juli 2010