Martin Lewinsohn

Verlegeort
Mommsenstr. 40
Historischer Name
Mommsenstr. 39
Bezirk/Ortsteil
Charlottenburg
Verlegedatum
28. Oktober 2020
Geboren
18. Dezember 1876 in Osterode (Ostpreußen) / Ostróda
Beruf
Familienunternehmer
Deportation
am 19. Januar 1942 in das Ghetto Riga
Ermordet
im Ghetto Riga

Martin Lewinsohn wurde am 18. Dezember 1876 im ostpreußischen Osterode (heute Ostróda in Polen) geboren, damals im östlichsten Teil des deutschen Reiches gelegen. Er hatte noch vier Schwestern und einen Bruder. Nach dem Tod seines Vaters übernahm er das Familienunternehmen, eine Destillerie, die Spirituosen, Wein und Soda herstellte.<br />
Zwei seiner Schwestern blieben ledig und verließen nie ihr Zuhause. Eine wurde Geschäftsführerin und die andere kümmerte sich um den Haushalt. Trotz ihrer sechs Kinder fand Martins Mutter Zeit, sich um den Ausschank zu kümmern, wenn Not am Manne war. Der Ausschank im Parterre des Geschäfts war äußerst beliebt.<br />
Martin Lewinsohn lernte durch ein arrangiertes Treffen Grete Herzfeld kennen, geboren am 8. April 1888 im niedersächsischen Peine bei Hannover. Sie war die Älteste von drei Geschwistern. Nach der Schule boten sich nicht viele Möglichkeiten für Grete in ihrer Heimatstadt, und die Aussichten für eine Ehe vor Ort waren schlecht. Ihre Eltern schickten sie nach Berlin in eine Pension mit Kost und Logis, wo sie pädagogische und kulturelle Angebote wie Theater, Oper, Konzerte vorfand und eine zusätzliche Schulbildung genießen konnte.<br />
Nach einem Jahr kehrte sie nach Hause zurück. Ein Onkel, der in Königsberg/Ostpreußen lebte, arrangierte ein Treffen mit einem geeigneten jungen Mann, der Schwierigkeiten hatte, eine passende junge Dame zu finden. Sie fanden Gefallen aneinander und heirateten bald darauf, am 14. Februar 1912. Die Flitterwochen verbrachten sie in Venedig. Zehn Monate später, am 13. Dezember 1912, kam Curt auf die Welt. Martin und Grete mieteten eine große Wohnung in Osterode in der Wilhelmstraße Nr. 8. Diese nahm ein ganzes Stockwerk ein und war elegant eingerichtet. Am 17. Dezember 1916 wurde die Tochter Hildegard geboren. Grete hatte die Aufgabe, den Haushalt reibungslos zu führen, Martin leckeres Essen zu servieren und sich um die Kinder zu kümmern. Er wurde zu Hause verwöhnt und erwartete von allem das Beste - was er bekam. Grete war gesund und munter. Sie war stets beschäftigt, ohne zu ermüden, und hat sich nie ausgeruht. Sie hat gebacken und Obst eingekocht. Zweimal die Woche ging sie auf den Markt, kaufte frisches Gemüse und Dinge, die der Markt zu bieten hatte.<br />
Mitten in der Stadt lag der schöne Drewenzer See. Es war ein großer See, geeignet für alle Wassersportarten und Angeln. Grete ging dorthin, um ein schnelles Bad zu nehmen. Sie brachte Curt und Hildegard das Schwimmen bei. Sie schwammen jeden Tag nach der Schule und wenn es fror, was es jeden Winter tat, gingen sie Eislaufen.<br />
*Hinweis: Die ehemalige deutsche Stadt Osterode in Ostpreußen ist heute Ostróda im heutigen Polen. Die jüdische Bevölkerung im Jahr 1933 betrug 123 Menschen. Im Mai 1939 hatten alle bis auf einen Juden Osterode verlassen. Im Januar 1945 wurde Osterode kampflos von der Roten Armee der Sowjetunion erobert. Mit der Eroberung durch die Sowjetunion und der Potsdamer Konferenz wurde die Stadt polnisch. Martin besaß einen Chevy Pickup für Lieferungen und installierte bewegliche Holzbänke, um Leute zu transportieren. An sonnigen Tagen kamen oft Freunde mit Picknickkörben vorbei und machten sich auf den Weg zu einem hübschen Ort. Sie brachten Decken mit, um sich auf Bänken niederzulassen. Martin saß vorne neben dem Chauffeur, um ihm den Weg zu weisen. Er selbst ist nicht gefahren.<br />
Als Martin aufgefordert wurde, zu erscheinen, um sein Vermögen offenzulegen, ging Grete dorthin, weil sie Angst um Martin hatte. Sie wurde gezwungen – mit einer Waffe neben dem Formular –, die traurige Aufgabe zu erledigen. Mit diesem letzten Akt erkannten die beiden den Ernst der Lage und beschlossen, nach Berlin zu ziehen. Sie teilten sich eine kleine Wohnung mit Freunden, die aus dem gleichen Grund dorthin gegangen waren. Grete und Anna Lewinsohn, die beiden ledigen Tanten, folgten. Sie nahmen eine andere Wohnung, primitiv und klein.<br />
Die vier fühlten sich sicher, da Martin im Ersten Weltkrieg gedient hatte und mit einem Eisernen Kreuz ausgezeichnet worden war. Er dachte, das würde ihnen helfen.<br />
Am 19. Januar 1942 wurden sie von der Gestapo verhaftet und nach Riga in Lettland deportiert. Martin und Grete wurden Opfer des Holocaust. Die beiden Tanten schafften es nach England.<br />
Curt ging nach seinem Abitur mit 18 Jahren an die Universität Freiburg, um Medizin zu studieren. Er hatte halb fertig studiert, durfte aber nicht weitermachen. Um sich auf ein Leben in Palästina vorzubereiten, ging er in die Niederlande, um für einen Bauern zu arbeiten. In Palästina lebte er in einem Kibbuz, wo er seine Frau kennenlernte. Seinen Namen änderte er von Curt Lewinsohn in Yoram Ariely. Er arbeitete als Buchhalter. Curt starb im Januar 1982.<br />
Hildegard zog nach der Schule nach Berlin. Von 1934 bis 1935 arbeitete sie – in Vorbereitung auf ein Jahr in Israel – im jüdischen Kinderwaisenhaus im Osten Berlins. Von 1935 bis 1936 absolvierte sie eine Krankenschwesterausbildung an der Jüdischen Kinderklinik in Charlottenburg (Berlin) und von 1936 bis 1938 eine Krankenpflegeausbildung im Jüdischen Krankenhaus in Frankfurt am Main, wo sie das Staatsexamen ablegte. Das Krankenhaus beschäftigte sie, bis sie im April 1939 nach England aufbrach.<br />
Sie fand in Sheffield einen Job durch eine jüdische Organisation als Krankenschwester im Kinderkrankenhaus. Hildegard heiratete im Mai 1940 in Blackburn. Zwei Wochen nach der Hochzeit emigrierte ihr Mann in die Vereinigten Staaten und ließ sich in New York City nieder. Hildegard blieb bis Ende des Jahres in England und emigrierte dann nach New York. Nach ihrer Einbürgerung änderte sie ihren Namen von Hildegard in Hilda. 1976 zog sie nach Kalifornien. Hilda starb 92-jährig im November 2009 an Herzinsuffizienz.<br />

Martin Lewinsohn wurde am 18. Dezember 1876 im ostpreußischen Osterode (heute Ostróda in Polen) geboren, damals im östlichsten Teil des deutschen Reiches gelegen. Er hatte noch vier Schwestern und einen Bruder. Nach dem Tod seines Vaters übernahm er das Familienunternehmen, eine Destillerie, die Spirituosen, Wein und Soda herstellte.
Zwei seiner Schwestern blieben ledig und verließen nie ihr Zuhause. Eine wurde Geschäftsführerin und die andere kümmerte sich um den Haushalt. Trotz ihrer sechs Kinder fand Martins Mutter Zeit, sich um den Ausschank zu kümmern, wenn Not am Manne war. Der Ausschank im Parterre des Geschäfts war äußerst beliebt.
Martin Lewinsohn lernte durch ein arrangiertes Treffen Grete Herzfeld kennen, geboren am 8. April 1888 im niedersächsischen Peine bei Hannover. Sie war die Älteste von drei Geschwistern. Nach der Schule boten sich nicht viele Möglichkeiten für Grete in ihrer Heimatstadt, und die Aussichten für eine Ehe vor Ort waren schlecht. Ihre Eltern schickten sie nach Berlin in eine Pension mit Kost und Logis, wo sie pädagogische und kulturelle Angebote wie Theater, Oper, Konzerte vorfand und eine zusätzliche Schulbildung genießen konnte.
Nach einem Jahr kehrte sie nach Hause zurück. Ein Onkel, der in Königsberg/Ostpreußen lebte, arrangierte ein Treffen mit einem geeigneten jungen Mann, der Schwierigkeiten hatte, eine passende junge Dame zu finden. Sie fanden Gefallen aneinander und heirateten bald darauf, am 14. Februar 1912. Die Flitterwochen verbrachten sie in Venedig. Zehn Monate später, am 13. Dezember 1912, kam Curt auf die Welt. Martin und Grete mieteten eine große Wohnung in Osterode in der Wilhelmstraße Nr. 8. Diese nahm ein ganzes Stockwerk ein und war elegant eingerichtet. Am 17. Dezember 1916 wurde die Tochter Hildegard geboren. Grete hatte die Aufgabe, den Haushalt reibungslos zu führen, Martin leckeres Essen zu servieren und sich um die Kinder zu kümmern. Er wurde zu Hause verwöhnt und erwartete von allem das Beste - was er bekam. Grete war gesund und munter. Sie war stets beschäftigt, ohne zu ermüden, und hat sich nie ausgeruht. Sie hat gebacken und Obst eingekocht. Zweimal die Woche ging sie auf den Markt, kaufte frisches Gemüse und Dinge, die der Markt zu bieten hatte.
Mitten in der Stadt lag der schöne Drewenzer See. Es war ein großer See, geeignet für alle Wassersportarten und Angeln. Grete ging dorthin, um ein schnelles Bad zu nehmen. Sie brachte Curt und Hildegard das Schwimmen bei. Sie schwammen jeden Tag nach der Schule und wenn es fror, was es jeden Winter tat, gingen sie Eislaufen.
*Hinweis: Die ehemalige deutsche Stadt Osterode in Ostpreußen ist heute Ostróda im heutigen Polen. Die jüdische Bevölkerung im Jahr 1933 betrug 123 Menschen. Im Mai 1939 hatten alle bis auf einen Juden Osterode verlassen. Im Januar 1945 wurde Osterode kampflos von der Roten Armee der Sowjetunion erobert. Mit der Eroberung durch die Sowjetunion und der Potsdamer Konferenz wurde die Stadt polnisch. Martin besaß einen Chevy Pickup für Lieferungen und installierte bewegliche Holzbänke, um Leute zu transportieren. An sonnigen Tagen kamen oft Freunde mit Picknickkörben vorbei und machten sich auf den Weg zu einem hübschen Ort. Sie brachten Decken mit, um sich auf Bänken niederzulassen. Martin saß vorne neben dem Chauffeur, um ihm den Weg zu weisen. Er selbst ist nicht gefahren.
Als Martin aufgefordert wurde, zu erscheinen, um sein Vermögen offenzulegen, ging Grete dorthin, weil sie Angst um Martin hatte. Sie wurde gezwungen – mit einer Waffe neben dem Formular –, die traurige Aufgabe zu erledigen. Mit diesem letzten Akt erkannten die beiden den Ernst der Lage und beschlossen, nach Berlin zu ziehen. Sie teilten sich eine kleine Wohnung mit Freunden, die aus dem gleichen Grund dorthin gegangen waren. Grete und Anna Lewinsohn, die beiden ledigen Tanten, folgten. Sie nahmen eine andere Wohnung, primitiv und klein.
Die vier fühlten sich sicher, da Martin im Ersten Weltkrieg gedient hatte und mit einem Eisernen Kreuz ausgezeichnet worden war. Er dachte, das würde ihnen helfen.
Am 19. Januar 1942 wurden sie von der Gestapo verhaftet und nach Riga in Lettland deportiert. Martin und Grete wurden Opfer des Holocaust. Die beiden Tanten schafften es nach England.
Curt ging nach seinem Abitur mit 18 Jahren an die Universität Freiburg, um Medizin zu studieren. Er hatte halb fertig studiert, durfte aber nicht weitermachen. Um sich auf ein Leben in Palästina vorzubereiten, ging er in die Niederlande, um für einen Bauern zu arbeiten. In Palästina lebte er in einem Kibbuz, wo er seine Frau kennenlernte. Seinen Namen änderte er von Curt Lewinsohn in Yoram Ariely. Er arbeitete als Buchhalter. Curt starb im Januar 1982.
Hildegard zog nach der Schule nach Berlin. Von 1934 bis 1935 arbeitete sie – in Vorbereitung auf ein Jahr in Israel – im jüdischen Kinderwaisenhaus im Osten Berlins. Von 1935 bis 1936 absolvierte sie eine Krankenschwesterausbildung an der Jüdischen Kinderklinik in Charlottenburg (Berlin) und von 1936 bis 1938 eine Krankenpflegeausbildung im Jüdischen Krankenhaus in Frankfurt am Main, wo sie das Staatsexamen ablegte. Das Krankenhaus beschäftigte sie, bis sie im April 1939 nach England aufbrach.
Sie fand in Sheffield einen Job durch eine jüdische Organisation als Krankenschwester im Kinderkrankenhaus. Hildegard heiratete im Mai 1940 in Blackburn. Zwei Wochen nach der Hochzeit emigrierte ihr Mann in die Vereinigten Staaten und ließ sich in New York City nieder. Hildegard blieb bis Ende des Jahres in England und emigrierte dann nach New York. Nach ihrer Einbürgerung änderte sie ihren Namen von Hildegard in Hilda. 1976 zog sie nach Kalifornien. Hilda starb 92-jährig im November 2009 an Herzinsuffizienz.