Theodor Weiss

Verlegeort
Oranienstraße 129
Bezirk/Ortsteil
Kreuzberg
Verlegedatum
06. April 2022
Geboren
15. Februar 1874 in Berlin
Deportation
am 06. Januar 1943 nach Auschwitz
Ermordet
30. Januar 1943 in Auschwitz

Theodor (Treitel) Weiss kam am 15. Februar 1874 in Berlin als Sohn des jüdischen Handelsmanns Leib Weiss und der Händlerin Bertha Kantrowicz zur Welt. Seine Eltern heirateten erst ein Jahr nach seiner Geburt in der westpreußischen Stadt Flatow. Als Handelsleute verdienten sie ihren Lebensunterhalt, indem sie im ganzen Reichsgebiet von Ort zu Ort zogen, um ihre Ware zu verkaufen. Wahrscheinlich aus wirtschaftlichen Gründen und weil sie noch nicht verheiratet waren, gaben sie Theodor als Pflegekind zu den in Berlin wohnhaften Eheleuten Bohn. Warum sie ihren erstgeborenen Sohn nie zu sich holten, ist nicht bekannt.

Um 1895 wurden Theodor Weiss’ Eltern in Witten in der preußischen Provinz Westfalen sesshaft. Theodor hatte sechs leibliche Geschwister, die er wahrscheinlich nie kennenlernte: Meyer (*1876), Rosa (*1880), Amalie (1885–1886), Lene (*1887), Rosalie (*1889) und Dora (*1891).

Theodor Weiss besuchte die evangelische Schule in der Pankstraße. Als Jugendlicher schloss er sich einer Gruppe von Artisten an, der „Dinos-Truppe“, mit der er im ganzen Reichsgebiet umherzog. Diese Tätigkeit gab er im Alter von etwa 22 Jahren auf und betätigte sich dann als Gelegenheitsarbeiter in Berlin.

Ende der 1890er Jahre ging Theodor Weiss mit der katholischen Näherin Gertrude Marie Steffen, geb. am 17. Juni 1880 zu Königsberg in Ostpreußen, eine Beziehung ein. 1898 kam die Tochter Elisabeth Emilie Erna Steffen zur Welt, es folgte der Sohn Willy Arthur Bernhard Steffen (geb. und gest. 1899). Nach der Heirat von Theodor Weiss und Gertrude Steffen am 2. Dezember 1901 erkannte Theodor die Vaterschaft der beiden unehelich geborenen Kinder an.

Es folgten die Kinder Marie (geb. und gest. 1902), Kurt (geb. und gest. 1905), Alfons (*1906), Lucie Martha (1909–1910) und Herta (*1913). Theodor Weiss verdiente den Lebensunterhalt der Familie als Fabrikarbeiter. Er trat auch verschiedentlich als Humorist in Varietés und Sommergärten in Berlin und der Provinz auf. Die Familie zog mehrmals um und wohnte an verschiedenen Adressen im heutigen Ortsteil Gesundbrunnen. Ab 1916 lebte Theodor Weiss von seiner Frau getrennt, die Ehe wurde im Februar 1929 geschieden.

Theodor Weiss nahm als Angehöriger des 1. Ermländischen Infanterie-Regiments Nr. 150 in Allenstein am Ersten Weltkrieg teil.

1924 lernte er Klara Schröter, geb. am 6. Januar 1896 in Berlin, kennen. Sie wurden ein Paar und lebten in einer eheähnlichen Gemeinschaft. Aus dieser Verbindung gingen die Tochter Eva Anneliese Schröter (*1925) sowie zwei Söhne (*1927 und 1930) hervor, die evangelisch getauft wurden. Mitte der 1930er Jahre wohnten sie in der Oranienstraße 129 in Kreuzberg (das Haus existiert nicht mehr). Theodor Weiss verdiente den Lebensunterhalt der Familie als Verwandlungskünstler.

Mit der schrittweisen Entrechtung und Verfolgung von Juden seit 1933 begannen auch Zwangsmaßnahmen gegen Theodor Weiss. Darunter fielen zahlreiche Maßnahmen der Diskriminierung und sozialen Ausgrenzung sowie des Entzugs staatsbürgerlicher Rechte.

Theodor Weiss war von seinen Pflegeeltern im evangelischen Glauben erzogen worden. Erst als er sich vor Antritt seiner Militärdienstzeit eine Geburtsurkunde ausstellen ließ, erfuhr er von seiner jüdischen Abstammung. Als Religionszugehörigkeit gab er in den 1930er Jahren „Dissident“ an, fühlte sich also keiner Religion zugehörig.

Durch das am 15. September 1935 erlassene Gesetz zum „Schutze des deutschen Blutes und der deutschen Ehre“ wurde die Eheschließung und der außereheliche Geschlechtsverkehr zwischen Juden und Nichtjuden verboten. Verstöße gegen das Gesetz wurden als „Rassenschande“ bezeichnet und mit Gefängnis oder Zuchthaus (ausschließlich für männliche Beteiligte) bedroht – egal, welcher Beteiligte Jude war.

Da Klara Schröter „Arierin“ war, wurde Theodor Weiss am 5. Oktober 1936 verhaftet. Am 27. Februar 1937 wurde „der Jude Weiss“ vom Landgericht Berlin wegen „Rassenschande“ zu 15 Monaten Gefängnis unter Anrechnung von vier Monaten Untersuchungshaft verurteilt. Die Strafe verbüßte er im Gefängnis Tegel und in der Strafanstalt Brandenburg-Görden. Eigentlich hätte er am 27. Januar 1938 entlassen werden müssen, die Gestapo ordnete jedoch an, ihn in „Schutzhaft“ zu behalten. Unter diesem Begriff wurden in der Zeit des Nationalsozialismus Regimegegner und andere missliebige Personen allein aufgrund einer polizeilichen Anordnung inhaftiert, ohne dass dies einer richterlichen Kontrolle unterlag.

Theodor Weiss wurde somit nach dem Ende seiner Haft nicht entlassen, sondern zunächst in das Polizeigefängnis Alexanderplatz und am 26. Februar 1938 in das KZ Dachau überstellt. Von dort wurde er am 22. September 1938 nach Buchenwald überführt, wo er nach acht Tagen entlassen wurde.

Nach der Entlassung wohnte Theodor Weiss zur Untermiete in Berlin, Bötzowstraße 20. Er war mittellos und erhielt Unterstützung vom Wohlfahrtsamt Prenzlauer Berg. Da das Geld nicht ausreichte, um die Miete zu bezahlen und davon zu leben, wandte er sich Ende November 1938 an die Berliner Strafentlassenen-Hilfe und versuchte dort ebenfalls Unterstützung zu bekommen, indem er angab, dass er bisher keine öffentliche Hilfe erhalten habe. Auf Nachfrage der Gefangenenhilfe gab er zu, doch bereits Unterstützung zu erhalten. Die Strafentlassenen-Hilfe lehnte daraufhin sein Gesuch ab. Wegen des versuchten Betruges befand sich Theodor Weiss seit dem 19. Januar 1939 in Untersuchungshaft und wurde am 30. Januar zu fünf Monaten Gefängnis verurteilt, die er in Plötzensee absaß. Er wurde am 20. Juni 1939 entlassen und schlug sich dann mit Gelegenheitsarbeiten, u.a. als Kammerjäger, durch.

Am 27. August 1941 wurde Theodor Weiss erneut festgenommen. Einige Tage zuvor war er abends von der Arbeit nach Hause gekommen – er wohnte inzwischen als Untermieter bei der jüdischen Familie Brauer in der Keibelstraße 3 in Mitte – und begegnete zwei vierjährigen Mädchen aus der Nachbarschaft. Theodor Weiss warf die Mädchen mehrmals in spielerischer Weise in die Luft und fing sie wieder auf. Ihm wurde daraufhin von dem Vater eines der Mädchen, der NSDAP-Mitglied war, vorgeworfen, die Mädchen unsittlich berührt und an ihnen unzüchtige Handlungen vorgenommen zu haben.

Theodor Weiss wurde am 18. November 1941 vom Polizeipräsidium Berlin nach Buchenwald überstellt. Dort musste der 67-jährige Theodor Weiss im Steinbruch arbeiten. Am 12. Dezember 1941 wurde er wegen der bevorstehenden Gerichtsverhandlung in das Untersuchungsgefängnis in Berlin-Moabit überführt. Am 30. Januar 1942 wurde Theodor Weiss wegen Sittlichkeitsverbrechens nach §176 zu einer Strafe von 18 Monaten Gefängnis unter Anrechnung von drei Monaten Untersuchungshaft verurteilt. Die Strafe verbüßte er zunächst in Plötzensee, ab November 1942 im Strafgefängnis Tegel. Nach dem Ende seiner Haftzeit sollte er als „Vorbeugungshäftling“ oder sogenannter „Berufsverbrecher“ in das KZ Buchenwald zurückgeführt werden. Die „polizeiliche Vorbeugungshaft“ war ein Instrument des nationalsozialistischen Regimes, mit dem die Kriminalpolizei – ähnlich der von der Gestapo verhängten „Schutzhaft“ – Menschen ohne richterlichen Beschluss in einem KZ zeitlich unbegrenzt inhaftieren konnte.

Laut Gestapo bat Theodor Weiss in einem Gesuch vom 14. Oktober 1942 darum, „ihn nach Entlassung aus der Strafhaft nach dem Osten zu evakuieren“ – wahrscheinlich in Unkenntnis, was ihn erwarten würde, aber in der vagen Hoffnung, dass es dort besser wäre als in Buchenwald. Diesem Antrag wurde stattgegeben. Theodor Weiss wurde am 6. Januar 1943 aus der Haft entlassen und nach Auschwitz deportiert, wo er am 30. Januar 1943 ermordet wurde.

Theodor Weiss’ Schwester Dora, verheiratete Rosenthal, wurde von ihrem Wohnort Hamburg im November 1941 in das Ghetto Minsk deportiert, wo sich ihre Spur verliert. Die anderen Geschwister waren bereits vor 1930 verstorben. Zahlreiche Neffen und Nichten von Theodor Weiss wurden in der Shoah ermordet.

Klara Schröter starb bei einem Bombenangriff im Februar 1945 in Berlin. Die sechs Kinder von Theodor Weiss überlebten den Krieg.

Seine Tochter Eva Anneliese Schröter hat die Gräueltaten der Nazis, die sie in ihrer Kindheit und Jugend erleben musste, sowie die Ermordung ihres Vaters in Auschwitz bis zu ihrem Tod im Jahr 2015 nicht verwunden.