Alice Chotzen geb. Proskauer

Verlegeort
Roscherstraße 7
Bezirk/Ortsteil
Charlottenburg
Verlegedatum
24. Februar 2020
Geboren
05. Dezember 1885 in Ratibor (Schlesien) / Racibórz
Deportation
am 02. März 1943 nach Auschwitz
Ermordet
in Auschwitz

Am 9. Dezember 1885 kam Alice Chotzen (geborene Proskauer) im schlesischen Ratibor zur Welt. Es gibt keine Informationen über ihre Familie, ihr Heranwachsen, welche Schulen sie besuchte und was sie nach der Schule machte. Sie kam aus einer jüdischen Familie und heiratete Hugo Chotzen aus Cottbus, wo das junge Ehepaar auch lebte. Aus dieser Zeit stammt wohl das einzige erhaltene Foto von dem jungen, gut situierten Paar.

Alice war 20 Jahre alt, als ihr erstes Kind 1906 in Cottbus zur Welt kam. Es war Ruth, und 1908 folgte die Tochter Ilse. 1910 wurde dann Sohn Werner geboren. Die wachsende Familie lebte weiterhin in Cottbus. Hugo Chotzen betrieb dort die Firma „Otto Rechnitz“. 1914 wurde er Soldat und war in einer medizinischen Einheit tätig. Er war in Russland eingesetzt, wurde verwundet und starb am 9. Oktober 1914 in Szukle/Russland. Alice wurde mit 29 Jahren und drei kleinen Kindern im Alter von fünf, sieben und neun Jahren, zur Witwe. Aus der Familienerzählung ist bekannt, dass sie zum Unterhalt ihrer Familie einen Tabakladen betrieb. Zudem erhielt sie eine Witwenrente, da ihr Mann an der Front gefallen war. Sie blieb zunächst in Cottbus, arbeitete und zog ihre Kinder groß.

Um 1930 zog Alice nach Berlin. Laut Berliner Adressbuch von 1931 lebte sie in der Bernhardstraße 8 in Berlin-Wilmersdorf. Sie wurde dort als Witwe geführt und besaß ein Telefon. 1934 zog sie in die Roscherstraße 7. Sie bewohnte eine 2-Zimmer-Wohnung im 2. Stock des Vorderhauses. Zu dieser Zeit waren ihre Töchter bereits verheiratet. Allen drei Kindern gelang später die Emigration aus dem nationalsozialistischen Deutschland: Ruth und Werner wanderten nach Palästina aus und Ilse nach Montevideo. Alice Chotzen aber blieb in der Roscherstraße. 7 zurück.

Wir kennen einige wenige Details zu ihrem Leben unter der nationalsozialistischen Herrschaft aus ihrer Vermögensverwertungsakte des Oberfinanzpräsidenten Berlin-Brandenburg: Sie erhielt monatlich 101 Reichsmark Kriegerwitwenrente. Nach 1939 musste sie, wie nahezu alle „arbeitsfähigen“ in Deutschland verbliebenen Jüdinnen und Juden Zwangsarbeit verrichten. 1941 war sie 56 Jahre alt. Sie wurde an die Firma „Nordland-Schneeketten“ in der Kurfürstenstraße 14 (Bezirk Tiergarten) überstellt. Die Entfernung zwischen ihrer Wohnung und der Firma betrug 5,6 Kilometer und wahrscheinlich musste sie den Weg zu Fuß zurücklegen.

Vielleicht hatte sie Kontakt zu ihren ausgewanderten Kindern, was durch die berühmten Briefe des Roten Kreuzes ermöglicht worden wäre, auf denen maximal 25 Wörter erlaubt waren. Wenig wissen wir über die Qualität des Kontaktes zwischen ihr und der Familie eines ihrer Schwäger in der Johannisberger Straße 3. Ihr Neffe Joseph Chotzen, genannt Eppi, hat darüber keine weiteren Informationen. Fest steht, dass sie sich kannten und in Kontakt standen.

Aus ihrer Vermögensverwertungsakte erfahren wir ein letztes Detail über Alice: Sie wurde bereits vor der „Fabrikaktion“ Ende Februar 1943 festgenommen. Ihre Unterschrift stand unter den 16 Seiten, auf denen sie all ihr Vermögen auflisten musste, datiert vom 22. Januar 1943. Sie musste wahrscheinlich mehr als 5 Wochen im Sammellager Große Hamburger Straße zubringen. Den Grund dafür kennen wir nicht. Wir wissen lediglich, dass sie ihre Wohnung in der Roscherstraße 7 um den 20. Januar 1943 verließ und sie nie wieder betrat.

Alice Chotzen wurde am 2. März 1943 nach Auschwitz deportiert und vermutlich sofort in der Gaskammer umgebracht. Ihr Todesdatum ist nicht dokumentiert. Erst im Oktober 1943 wurde ihre Wohnung geräumt, und bis dahin wurde die Miete vom Oberfinanzpräsidenten an den „arischen“ Vermieter gezahlt.

Zur Verlegung des Stolpersteins sind ihr Enkel, ihre Urenkelin und ihre Ururenkeltochter nach Berlin gekommen – sie kommen aus Israel und zeigen, wie wichtig es ihnen ist, ihrer Großmutter und Urgroßmutter zu gedenken, die sie nie persönlich kennengelernt haben. Es war auch ein Zeichen des Triumphs über den Vernichtungswillen der Nationalsozialisten: Diese Familie – Inbar Chotzen, ihr Vater, der Werners Sohn ist und drei weitere Familienangehörige – waren hier und zeigten, dass Alices Familie weiterlebt!