Margot Fürst geb. Meisel

Verlegeort
(Stolperstein is virtual)
Zolastraße 1a
Historischer Name
Koblanckstraße 1 a
Bezirk/Ortsteil
Mitte
Geboren
24. November 1912 in Berlin
Beruf
Publizistin
Flucht
1935 nach Palästina
Verhaftet
17. Dezember 1933 bis 1934 in Untersuchungsgefängnis Barnimstraße
Überlebt

Margot Fürst (geb. Meisel) wurde am 24. November 1912 in Berlin geboren. Ihre Eltern waren der Handelsunternehmer Ernst Meisel und seine Frau Rosa. Margots jüngere Schwester Hilde, später verh. Olday, Widerstandskämpferin und Publizistin, kam 1914 in Wien zur Welt.

Beide Mädchen politisierten sich früh. Schon als Jugendliche wurde Margot Mitglied im Jungjüdischen Wanderbund, dessen Ziel es war, aus sozialistischer Gesinnung gegen die Unterdrückung des ostjüdischen Proletariats anzukämpfen.

1927, mit 14 Jahren, brach Margot die Schule ab und verließ ihr Elternhaus. Kurzfristigen Unterschlupf fand sie im Berliner Scheunenviertel – eine andere jüdische Jugendgruppe, der „Schwarze Haufen“, hatte dort ein Heim in der Mulackstraße eingerichtet. Der „Schwarze Haufen“, dem sie sich anschloss, war 1925 im ostpreußischen Königsberg unter Führung von Hans Litten und Max Fürst aus dem deutsch-jüdischen Wanderbund „Kameraden“ hervorgegangen. Mit dem Weggang von Litten und Fürst aus Königsberg und der Einrichtung eines Heims in der Mulackstraße war Berlin 1927 zum neuen Zentrum der Gruppe geworden.

Margot Meisel lebte für kurze Zeit bei ihrer Großmutter, wohnte dann aber in einem Untermieterzimmer in der Münzstraße, das zuvor von Max Fürst gemietet worden war. Inzwischen waren die beiden ein Paar. Ihren Lebensunterhalt bestritt Margot für einige Monate als ungelernte Arbeiterin in einer Fabrik, dann als Auszubildende in zwei Verlagen (darunter in dem später berühmten Malik-Verlag). Die vierte Anstellung als Sekretärin beim Pressechef der Althoff-Ambos-Film AG (Aafa-Film) Aktiengesellschaft in der Friedrichstrasse behielt sie bis 1930.

Daneben engagierte sich Margot seit 1928 in der von Max Fürst und Hans Litten initiierten Beratungsstelle Jugend hilft Jugend. Das war ein autonomes Jugendarbeitsprojekt. Unmittelbarer Auslöser für dessen Gründung war der sog. Steglitzer Schülermord zu Beginn des Jahres 1928: ein Eifersuchtsdrama unter Jugendlichen, bei dem ein Jugendlicher erschossen wurde, der Schütze Selbstmord beging und ein Dritter für den Mord angeklagt wurde. Während es sich viele leicht machten und die Verwahrlosung der Jugend beklagten, versuchte Hans Litten gemeinsam mit Max Fürst und Margot Meisel sowie weiteren Unterstützern anonym und kostenlos pragmatische Hilfe zu leisten. Armut, Missbrauch, Prostitution, Kriminalität waren die Bedrängnisse, für die Lösungen gefunden werden mussten. Als Notunterkunft gewährten Max und Margot den Jugendlichen häufig Unterschlupf bei sich zu Hause.

Am 28. November 1929 heirateten Max Fürst und Margot Meisel, das Paar erwartete das erste Kind. Max arbeitete als Tischler für den Unterhalt der kleinen Familie – für die Arbeit in der Jugendberatungsstelle blieb kaum noch Zeit. Am 27. Mai 1930 wurde die Tochter Birute Hannah, genannt ‚Mop‘, später verheiratete Stern, geboren († Jerusalem 16.9.2021). Nun zog die junge Familie zusammen mit Hans Litten in die Koblanckstraße, heute Zolastraße 1a, was in dieser Konstellation zusätzliche Herausforderungen mit sich brachte. Am 18. Februar 1933 kam dort Sohn Elnis Hans Fürst zur Welt († Londonderry/Nordirland, 7.6.2013).

Der Rechtsanwalt Litten arbeitete ab Ende der 1920er Jahre verstärkt an großen, meist politisch veranlassten Fällen, die ihn längerfristig banden und finanzielle Durststrecken mit sich brachten. Der Plan war, die 17-jährige Margot sollte die Schule wieder aufnehmen, ihr Abitur nachholen und Jura studieren, um künftig Litten bei den weniger zeitaufwändigen Zivilfällen vertreten zu können. Hannah Arendt, die Kinderfreundin von Max Fürst aus Königsberg und „Lieblingsfeindin“ des jungen Hans Litten wurde in diesem Plan Margots Tutorin für Latein und Griechisch. Zur Prüfung kam es jedoch nicht mehr – Margot wurde 1933 zum Studium nicht zugelassen.

Nach der Geburt der Tochter Birute hatte Margot ihre Arbeit bei der Aafa-Filmgesellschaft beendet. Sie arbeitete nun als Rechtsanwaltsgehilfin für Hans Litten. Dieser war inzwischen zu einem der wichtigsten Anwälte der Roten Hilfe geworden. Er war der Mann, der am 8. Mai 1931 Adolf Hitler vor Gericht brachte. Litten warf Hitler vor, als Führer der NSDAP die SA zu provozierten Schlägereien in den Arbeitervierteln Berlins angestiftet zu haben.

Rechtsanwalt Litten und seine Unterstützer waren so schon früh zu persönlichen Feinden Adolf Hitlers geworden. In der Nacht des Reichstagsbrandes, vom 27. auf den 28. Februar 1933, wurde Litten wie viele andere in der gemeinsamen Wohnung festgenommen – Elnis war 10 Tage alt. Über Hans Littens Weg durch Gefängnisse und Konzentrationslager bis zu seinem Tod im Februar 1938 in Dachau wird in dem Buch Denkmalsfigur. Biographische Annäherung an Hans Litten, 1903–1938 von Knut Bergbauer, Sabine Fröhlich und Stefanie Schüler-Springorum detailliert berichtet.
Im Juni 1933 mussten die Fürsts die Wohnung in der Koblanckstrasse aufgeben. Sie war nach Littens Verhaftung zu teuer geworden. Weitere Haussuchungen drohten.

Sie fanden auf dem Land, in Sachsenhausen bei Oranienburg, eine Unterkunft in einer Doppelhaushälfte mit Garten. Dass damals in Oranienburg ein Konzentrationslager eingerichtet wurde, wussten sie nicht. Zum Schutz lebten ihre Kinder in Oranienburg bei der Haushälterin Marie Ehlert. Nur an den Wochenenden kam die Familie zusammen. Margot arbeitete weiter in Littens Anwaltskanzlei, Max in der Tischlerwerkstatt in der Berliner Georgenstraße, wo sich die beiden im hinteren Werkstattraum noch eine kleine Wohnung eingerichtet hatten.

Im August 1933 reiste Margot Fürst mit falschen Papieren nach Prag, um den Schriftsteller Max Brod über Littens Gefangenschaft zu unterrichten. Von dort fuhr sie in der gleichen Mission weiter nach Genf zu Hannah Arendt.

Im November 1933 wurde Max und Margot Fürst unter konspirativen Bedingungen das Angebot gemacht, Hans Litten gegen Bezahlung aus dem Konzentrationslager Brandenburg zu befreien und ins Ausland zu bringen. Der Vorschlag stammte von zwei SS-Männern, die Litten als Kommunisten vor Gericht vertreten hatte. Sie waren inzwischen Agenten der Gestapo, was am 17. Dezember 1933 zur Verhaftung von Max und Margot Fürst in Sachsenhausen führte.

Zunächst wurden beide ins Gestapo-Hauptquartier in der Berliner Prinz-Albrecht-Straße verbracht. Max Fürst wurde anschließend ins Gestapogefängnis Columbiahaus am Tempelhofer Feld und von dort ins Konzentrationslager Oranienburg überführt. Im Februar 1934 wurde er als „Minderbelasteter“ aus der Haft entlassen. Margot Fürst blieb bis September 1934 im Untersuchungsgefängnis Barnimstrasse inhaftiert; sie hatte in den Vernehmungen die alleinige Verantwortung für den Befreiungsversuch von Hans Litten übernommen. Max Fürst und der mitverhaftete Fritz Hohl, der das Fluchtfahrzeug lenken sollte, stützten diese Aussage. In seiner Autobiographie schrieb Max rückblickend: „Margot war in jedem Fall belastet, und sie hatte die Situation ganz richtig eingeschätzt, daß, wenn überhaupt, nur für mich eine Chance bestand, freizukommen.“ Ihre Kinder blieben während der Verhaftung in der Obhut der Kinderfrau in Sachsenhausen.

Mit der „Hindenburg-Amnestie“ für politische Gefangene, anlässlich des Todes des Reichspräsidenten am 2. August 1934, wird der Prozess gegen Margot Fürst eingestellt. Dank der mutigen Intervention von Margots Mutter – unter Hinweis auf die internationalen Geschäftskontakte des Vaters Ernst Meisel – konnte verhindert werden, dass die Tochter ins Konzentrationslager überstellt wurde. Im September 1934 wurde sie aus der Haft entlassen. Die Gestapo hatte erwartet, eine große Widerstandsgruppe ausheben zu können. Dass es keine weiteren Hinterleute gab, war unerwartet.

Im Oktober 1935 emigrierte die Familie mit einem von Margots Eltern bezahlten „Handwerkervisum“ von Rotterdam nach Haifa. Diese Seereise schilderte Max als die „glücklichste Zeit inmitten des Umtriebs“. Für die antinationalistisch und antizionistisch eingestellte Margot konnte dies nur Exil sein. Das Exil dauerte 15 Jahre. Die erste Station 1935 war Jerusalem, in den Jahren 1937 bis 1940 war Margot zeitweilig von der Familie getrennt, um im Firmensitz ihres Vaters in Kairo den Lebensunterhalt für die Familie zu verdienen. Ihre Kinder gaben sie in dieser Zeit in ein reformpädagogisches Kinderheim im britischen Mandatsgebiet Palästina. Erst 1941 lebte die ganze Familie wieder zusammen in Haifa.

1938 war der Familie Fürst die deutsche Staatsangehörigkeit aberkannt worden. Dennoch verfolgten sie den Plan einer Remigration nach Deutschland: „Wohin sollte man denn zurückkommen, wenn nicht nach Deutschland und gerade zu dem Volk. Es ist doch unser Volk“, erklärte Max Fürst später diese Entscheidung.

Im Juni 1950 unternahm er eine Erkundungsreise in die Schweiz, in die Bundesrepublik und nach Berlin, einen Ort suchend, an dem sie leben könnten.

Im April 1951 erhielten Max und Margot Fürst eine Anstellung an der Odenwaldschule in Hessen: er für den Aufbau einer Werkstudienschule, sie als Sekretärin. 1952 lud der Holzschneider HAP Grieshaber das Paar ein, sich in der Bernsteinschule im Kloster Bernstein bei Sulz am Neckar niederzulassen. Das war eine in der französischen Zone eingerichtete, private Kunstschule, die in der Nachkriegszeit für Künstler und Kunststudenten als Akademie-Ersatz diente. Ab 1954 lebte das Ehepaar Max und Margot Fürst in Stuttgart. Er arbeitete in seiner Schreinerei, schrieb zwei Bände seiner dreiteilig geplanten Autobiographie: Gefilte Fisch (1973) und Talisman Scheherezade (1976), die viele Leser fanden. Sie arbeitete für den Maler und Holzschneider HAP Grieshaber und veröffentlichte im Lauf der Jahre zahlreiche Bücher, Briefe und Kataloge über ihn, zuletzt ein zweibändiges Werkverzeichnis (Stuttgart 1984/1986).

Max Fürst starb am 21. Juni 1978, Margot Fürst am 2. Juli 2003 im 91. Lebensjahr in Stuttgart.