Rudolf Spiegel war der zweitälteste von 4 Söhnen des Ehepaares Louis (Lesser) und Martha Spiegel geb. Wolff. Louis Spiegel (1852 - 1897) war Kaufmann und kam aus Deutsch Krone; Martha Wolff (*1864) war in Anklam gebürtig. Die Ehe zwischen Rudolfs Eltern wurde 1893 geschlossen.
Louis Spiegel war - noch über seinen Tod hinaus - unter der Firmenbezeichnung „Louis Spiegel Söhne“ in den Berliner Adressbüchern verzeichnet. Allerdings fand sich kein Hinweis über die Art seiner geschäftlichen Tätigkeit.
Der 1887 geborene Sohn Moritz starb schon im Alter von 3 Monaten.
Als Rudolf am 5. Dezember 1888 auf die Welt kam, wohnte die Familie in der Holzmarktstraße 5, unweit der Jannowitzbrücke.
Julius wurde am 5. Juni 1891 geboren . Er verlor als Dreijähriger infolge einer Krankheit sein Gehör und kam nach dem Tod der Eltern in das Internat der Königlichen Taubstummenanstalt zu Berlin. Er studierte zunächst Malerei und trat in den 1920er- Jahren in Kabaretts und Varietés als Grotesk- bzw. Exotiktänzer auf. Julius starb 1974 auf der Insel Capri.
Walter war der jüngste Sohn, er kam am 17. August 1893 auf die Welt. Vier Jahre nach dessen Geburt starb der Vater Louis Spiegel.
Rudolf wurde wie sein Vater Kaufmann, es ist ebenfalls nicht bekannt, in welcher Branche er tätig war. Bis 1923 war seine Adresse Straußberger Straße 7.
1921 änderte Rudolf Spiegel seinen Nachnamen, indem er den Geburtsnamen seiner Mutter anfügte.
„Durch Ermächtigung des Justizministers vom 13. August 1921 führt der Kaufmann Rudolf Spiegel in Charlottenburg an Stelle des Familiennamens Spiegel den Familiennamen Spiegel – Wolff.
Der Standesbeamte Genske“ – so stand es als handschriftliche Ergänzung in seiner Geburtsurkunde.
Er wohnte schon in der Thüringer Straße 21, als er am 30. Mai 1923 die „Maschinenschreiberin“ Charlotte Stern heiratete. Das Ehepaar blieb dort bis 1934 wohnen und zog dann um in die Nassauische Straße 61.
1939 geriet das Ehepaar Spiegel – Wolff in große finanzielle Not. Rudolf war im 1. Weltkrieg verwundet worden, er gab an, aufgrund seiner Kriegsversehrtheit arbeitsunfähig zu sein. Seine Frau war schwanger, das Kind Dan wurde im Oktober geboren und Charlotte war somit ebenfalls nicht in der Lage, den Lebensunterhalt für die Familie zu bestreiten.
Rudolf hatte alles für eine Auswanderung nach Shanghai geplant und beim Reiseunternehmen „Atlantic Express GmbH“ eine Anzahlung auf die Schiffspassagen geleistet. Das Unternehmen wurde jedoch im Frühjahr 1939 insolvent und meldete im November Konkurs an. Die Anzahlung hat Rudolf Spiegel – Wolff trotz intensiver Bemühungen nicht zurückerhalten.
Gemeinsam mit seinem Bruder Walter versuchte Rudolf, einen Erbschein als Miterben ihres Vaters Louis nach dem Großvater Joseph Spiegel zu beantragen. Er schrieb am 13. August 1940 an das Nachlassgericht in Berlin:
In der Erbschaftssache Joseph Spiegel
beantrage ich mit Rücksicht auf meine wirtschaftlichen Verhältnisse Bewilligung des Armenrechts und füge diesbezüglich Bescheinigung des Finanzamts Wilmersdorf Nord bei.
Begründung
Ich bin durch die Entbindung und Krankheit meiner Frau sowie meines Kindes ausserordentlich belastet und besitze ebenso wie meine Frau kein Vermögen.Wir sind beide erwerbslos. Die bisherige Ernährerin der Familie war bis zu 1.3.1940 meine Frau. Gegenwärtig sind wir lediglich auf meine Rente angewiesen. Ich bin schwer kriegsbeschädigt und laut vorgelegter Urkunde ehemaliger Kämpfer gegen die Feinde der Nationalen Erhebung.“ *
Auch diese Bemühungen, einen Erbschein zu erlangen, blieben erfolglos, wie Walter Spiegel an seinen Bruder schrieb:
„…..und kann ich dir dazu nur sagen, daß meines Ermessens in dieser Sache nichts zu machen ist und ich für meinen Teil auf die Erbschaft verzichte, da ich nicht in der Lage bin, noch mehr Geld einzusetzen…..“.
Rudolf Spiegel - Wolff hatte offenbar bis zum Schluss die Hoffnung nicht aufgegeben, dass es für ihn und seine Familie eine Zukunft geben könnte. So eröffnete er für seinen Sohn Dan nach dessen Geburt noch ein Sparkonto, auf dem lt. Vermögenserklärung von 1942 ganze 4,23 RM vorhanden waren. Auch das wurde selbstverständlich vom Oberfinanzpräsidenten konfisziert.
Am 10. Oktober 1941 verließ die Familie Spiegel – Wolff die Nassauische Straße 61 und mietete am Friedrich – Karl – Platz 17 (heute Klausenerplatz) eine 2 ½ – Zimmerwohnung im Hinterhaus parterre, wobei eins der Zimmer schon an ein Ehepaar untervermietet war. Das Haus befand sich noch in jüdischem Besitz.
Am 31. Mai 1942 erhielten Rudolf und Charlotte Spiegel – Wolff ein Formular – die sogenannte Vermögenserklärung - in dem sie aufzuführen hatten, was ihnen zu diesem Zeitpunkt noch an Habseligkeiten geblieben war. Das untrügliche Zeichen dafür, dass die Deportation unmittelbar bevorstand.
Sie machten es dem Obergerichtsvollzieher leicht, indem sie akribisch jedes einzelne Stück aufführten und bewerteten - bis hin zu ihrer Leibwäsche. Quasi entschuldigend fügte Rudolf Spiegel – Wolff unter der Rubrik „Verschiedenes“ hinzu:
„Einzelheiten können nicht aufgeführt werden, da die vorliegenden Listenformulare mir um 22 h 10 min am 30.5.1942 durch Boten eingehändigt worden sind und dieselben bereits am nächsten Morgen um 9 h vorliegen müssen.“
Drei Tage später, am 2. Juni 1942, wurden Rudolf und Charlotte Spiegel – Wolff zusammen mit ihrem kleinen Sohn Danny in das Vernichtungslager Sobibor deportiert und ermordet. **
Rudolfs Bruder Walter Spiegel wurde am 14. Dezember 1942 nach Auschwitz deportiert und ermordet.
* In Deutschland feierten die Nationalsozialisten den 30. Januar 1933 als „Tag der nationalen Erhebung.“
** Der 14. Osttransport wurde häufig fälschlicherweise auf den 13. Juni 1942 datiert.