Vera Ruth Lehmann geb. Löwenbach

Verlegeort
Bayerische Straße 33
Bezirk/Ortsteil
Wilmersdorf
Verlegedatum
06. Juni 2018
Geboren
01. März 1910 in Neuenburg (Westpreußen) / Nowe
Deportation
am 23. Juni 1942 nach Minsk
Ermordet
in Maly Trostinec

Die folgende Biografie von Vera Ruth Lehmann wurde 1958 von ihrem Ehemann Manfred Lehmann im Entschädigungsantrag niedergeschrieben:

„Vera Ruth Löwenbach wurde am 1.3.1910 zu Neuenburg, Westpreußen (jetzt Nowe, Polen) als Tochter des dortigen Apothekers Philipp Loewenbach und seiner Frau Selly (Selma) geb. Tuchler geboren. Etwa ein Jahr nach ihrer Geburt verzogen ihre Eltern mit ihr nach Danzig, IV Damm 4, woselbst ihr Vater mit der Mitgift der Mutter die Königl. privilegierte Apotheke C.v.der Lippe, genannt Adler-Apotheke samt den dazugehörenden Grundstücken erwarb. 

Vera Ruth Loewenbach besuchte mit Eintritt ihrer Schulpflicht die höhere Töchterschule, kam von da ins Pensionat in Frankfurt a.M., besuchte nach ihrer Rückkehr aus dem Pensionat eine Haushaltungs- und Kochschule in Danzig nahe Neugarten und heiratete mich vor dem Standesamt I zu Danzig am 10.12.1929. Im Jahre 1930 verlegte sie zugleich mit mir ihren Wohnsitz nach Berlin. In Berlin gab sie zwei Töchtern das Leben, namens Daisy Traute Jo Mira und Edna Jo Dagmar.

Mit der Machtergreifung Hitlers wurde ihr das Leben zur Qual. Abgesehen von den Vorfällen, welche sie in den Straßen und insbesondere in der Weberstr., wo wir wohnten, mitansehen musste, fanden seitens S.A. und S.S. Kommandos bei uns wiederholt „Haussuchungen“ statt, sei es wegen angeblicher Waffensuche, sei es wegen angeblicher Devisenkontrollen, sei es lediglich um Geldsummen zu erpressen, sei es ohne jeden Vorwand.

Wir beschlossen infolgedessen, im Oktober 1933 in das andere Berliner Haus meiner Frau, nach Berlin W 15, Bayerische Str. 33 zu ziehen, aber auch dort waren die Verfolgungen nicht wesentlich geringer. Wir beschlossen deshalb ins Ausland, nach Palästina zu ziehen. Doch da ich im Auslande noch keine Existenz hatte, andererseits die Einnahmen aus den Grundstücken und meinen sonstigen Forderungen und Vermögenswerten in Deutschland ausreichten, vereinbarten wir, dass ich zunächst nach Palästina fahren und versuchen sollte, dort eine Existenz für mich und meine Familie aufzubauen, während Vera Ruth Lehmann geb. Loewenbach mit meiner Generalvollmacht in Deutschland zunächst zurückbleiben, und bis zur Schaffung genannter Existenz die Vermögensverwaltung und Abwicklung führen, auch solange für die Kinder sorgen solle.

Ich erhielt erst im Jahre 1939 in Palästina die Zulassung als Rechtsanwalt. Inzwischen sandte Vera Ruth Lehmann die Kinder wegen der dauernden politischen Unruhen und drohenden Kriegsgefahr in ein Pensionat nach Australien, blieb aber noch selber in Berlin. Die letzte persönliche Nachricht erhielt ich von ihr datiert vom 10.12.41 über das Deutsche Rote Kreuz, Auslandsdienst. Sie schreibt darin, sie möchte gern mit mir und den Kindern zusammen sein, habe Visa erhalten und erbäte um Bestätigung unserer Staatsangehörigkeit, damit sie fahren könne. Dazu ist es aber nicht mehr gekommen, obwohl ich zu diesem Zweck die diplomatische Vermittlung der Schweiz und der hiesigen jüdischen Dienststellen in Anspruch nahm.“ 

 

Aus den Akten ergibt sich, dass Vera Lehmann Ende 1941 kurz vor der Ausreise nach Palästina stand, als sie von ihrem Nachbarn, einem Hauptwachtmeister namens Oswald Graeber, wegen sogenannter „Rassenschande“ angezeigt wurde und im Anschluss an den Prozess deportiert wurde. Nach dem Krieg wurde Oswald Graeber aufgrund dieses Vorfalls zu einem Jahr Zuchthaus wegen Freiheitsberaubung verurteilt, darüber hinaus wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu fünf weiteren Jahren Freiheitsentzug. Manfred Lehmann bezieht sich im Folgenden auf diesen Vorfall.

„Wie sich aus den Vorgängen und Beiakten in der Strafsache gegen Graeber wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit (Akten der Staatsanwaltschaft bei dem Landgericht Berlin) ergibt, wurde meine Frau zur Zwangsarbeit und Munitionsarbeit in Berlin-Siemensstadt gezogen. Dort soll sie dem ihr auferlegten Soll nicht nachgekommen sein. (…)  Alle diese Maßnahmen soll ein Einwohner des Grundstücks Berlin W.15, Bayrische Str. 33, d.h. der genannte Angeklagte Graeber ins Werk gesetzt haben. Jedenfalls wurde meine Frau, anscheinend abrupt und ohne jede Vorbereitung nach dem „Osten“ transportiert und ist während des Transports oder am Transportziel kläglich zu Tode gekommen. Die für ihr gewaltsames Ende verfügbaren Unterlagen befinden sich bei den Akten (…) des Amtsgerichts Charlottenburg, in welchen sie am 19. Januar 1948 auf den 31. Dezember 1944 für tot erklärt wurde.“

Vera und Manfred Lehmanns Töchter Traute (* 1930) und Edna (*1931) besuchten für eine kurze Zeit die Gemeindeschule Berlin, bis sie sie in Folge der Rassengesetze verlassen mussten; sie wechselten 1936 auf die Jüdische Privatschule Leonore Goldschmidt.  Anfang Juni 1939 wurden sie im Alter von sieben und neun Jahren mit einem Kindertransport nach London geschickt und reisten nach zwei Wochen weiter nach Melbourne. Erst acht Jahre später, 1947, trafen sie ihren Vater in Haifa wieder.  

Die ältere Tochter Daisy Traute Jo Mira besuchte in Melbourne eine höhere Mädchenschule und absolvierte danach eine Apothekerlehre und eine Grundausbildung in der Armee. Sie heiratete 1956 den Kaffeehausinhaber Jehuda (Ernst) Weinreb.

Ihre jüngere Schwester Edna Jo Dagmar machte in Haifa eine Ausbildung zur Krankenschwester und zog 1955 nach England, wo sie 1957 Aubrey Samson heiratete. Sie arbeitete als Hebamme; ihre „psychogene Sprachstörung“ (sie stotterte) wurde als verfolgungsbedingte 25-prozentige Minderung der Erwerbsfähigkeit anerkannt.

Vera Lehmann wurde am 23.Juni 1942 mit dem sogenannten „16. Osttransport“ deportiert, der nach dem heutigen Stand der Forschung an einen Zug aus Königsberg angekoppelt wurde und Minsk zum Ziel hatte. Dort wurden die Menschen zu dem Minsker Vorort Maly Trostinec weitergeleitet und mit Lastkraftwagen zu vorher ausgehobenen Gruben gefahren, um dort ermordet zu werden. Lediglich 20-50 von 770 Menschen wurden zur Zwangsarbeit auf dem Gut Maly Trostinec ausgesondert. Wir wissen nicht, ob Vera Lehmann dazugehörte – den Krieg überlebt hat sie nicht.