Adelheid Silberstein geb. Arnstein

Verlegeort
Klopstockstraße 5
Bezirk/Ortsteil
Hansaviertel
Verlegedatum
29. November 2013
Geboren
08. September 1887 in Ratibor (Oberschlesien) / Racibórz
Deportation
am 09. Januar 1942 nach Ghetto Riga
Ermordet
in Riga

Adelheid „Ada“ Arnstein wurde am 8. September 1887 im oberschlesischen Ratibor (dem heutigen Racibórz in Polen) geboren. Die Stadt an der oberen Oder liegt rund 60 Kilometer südwestlich von Kattowitz (Katowice) und erlebte Mitte des 19. Jahrhunderts mit der Industrialisierung und der Eröffnung der Eisenbahnlinie Berlin–Wien, die über Ratibor führte, einen bedeutenden wirtschaftlichen Aufschwung. Ada Arnstein war die Tochter des Arztes und Sanitätsrats Dr. Josef Arnstein (1860-1923) und der Gertrud Arnstein, geborene Rosenthal (1864-1937). Sie hatte einen jüngeren Bruder namens Curt Arnstein, der 1891 geboren wurde. Die Familie lebte in einer Wohnung in der Oderstraße 21 (heutige ul. Odrzańska) in der Innenstadt. Über das Elternhaus, die Kindheit und Jugend von Ada Arnstein und ihrem Bruder im Ratibor der Kaiserzeit haben sich leider keine weiteren Informationen erhalten. Ihre Eltern gehörten aber aller Wahrscheinlichkeit nach zur jüdischen Gemeinde der Stadt, zu der zum Zeitpunkt der Geburt von Ada ungefähr 1200 der rund 20000 Einwohner zählten.

Nach ihrem Schulabschluss absolvierte Ada Arnstein eine Ausbildung zur Stenotypistin und war als solche tätig. Im Jahr 1909 heiratete die 21-Jährige den aus Zabrze stammenden und dort lebenden Siegfried Grünwald. Ihr Ehemann war 1871 als Sohn von Jakob Grünwald geboren worden, war Holzkaufmann und hatte in den 1900er-Jahren die väterliche Holzhandlung in Zabrze (von 1915 bis 1945 Hindenburg O. S.) übernommen. Das Ehepaar lebte in einer Wohnung in der Kronprinzenstraße 155 (ul. Jagiellońska). Im Dezember 1909 kam ihr Sohn Heinz Grünwald zur Welt; 1911 folgte eine Tochter namens Lily Toni. Im Jahr 1915 starb Adas Ehemann und sie zog mit ihren beiden Kindern nach Berlin, wo sie 1919 in zweiter Ehe den Kaufmann und Geschäftsinhaber Walther Silberstein (1871–1930) heiratete. Walther stammte ursprünglich aus Serteggen (Żerdziny in Polen) und führte in Berlin seit 1897 das florierende Damen- und Herrenbekleidungsgeschäft „The Gentleman“ im Stil englischer Mode. Die Ladenzeile mit breiter Schaufensterfront lag an der Ecke Friedrichstraße 87 / Unter den Linden. Bis in die 1920er-Jahre hatte sich das Geschäft einen exzellenten Ruf und ausgesuchten Kundenkreis erarbeitet und war zu einem der führenden Modegeschäfte Berlins avanciert. Zu seinen Kunden zählten der König von Griechenland und die Prinzessin zu Waldeck und Pyrmont. Das Geschäft ermöglichte der Familie Silberstein ein großbürgerliches Leben im Berlin der Kaiserzeit und Weimarer Republik. Walther Silberstein konnte seinen vielfältigen Aktivitäten in philanthropischen Vereinen, der Kunst- und Kulturszene der Hauptstadt und seinem Engagement in der jüdischen Gemeinde Berlins nachgehen. Aus seiner ersten Ehe mit Lea Ilse Silberstein, geborene Levy (1872–1917) brachte Walther Silberstein drei Kinder in die Verbindung mit Ada mit ein: Seinen 1899 geborenen Sohn Werner, die 1901 geborene Tochter Else Ruth, die mit nur 22 Jahren 1923 verstarb und seine jüngste Tochter Margot, die 1904 in Berlin geboren worden war. Eine weitere Tochter, Hilda, war kurz nach der Geburt 1901 verstorben. 1919 bekamen Walther und Ada ein gemeinsames Kind, eine Tochter, der sie den Namen Vera gaben. Die Familie Silberstein lebte in einer Zehnzimmerwohnung in der Klopstockstraße 56 (heute überbaut) im Hansaviertel. Nach späteren Berichten der Kinder von Walther Silberstein war es ein humanistischer, strenggläubiger Haushalt und beliebter Mittelpunkt gesellschaftlicher Zusammenkünfte. In der Silberstein'schen Wohnung verkehrten vielerlei bedeutende und interessante Persönlichkeiten der Zeit. Besonders Künstlern standen die Türen des kunstinteressierten Walther Silbersteins stets offen und mit der Zeit konnte er sich eine respektable Privatsammlung aufbauen – unter anderem zierten die Wände in der Klopstockstraße ein Portrait Walther Silbersteins aus der Hand des persönlich mit ihm befreundeten Lovis Corinth (1858–1925) sowie Werke von Max Liebermann, Adolph Menzel, Lesser Ury und viele weitere Gemälde. Die Silbersteins besuchten regelmäßig Konzerte, Vorstellungen der Oper und des Theaters und Walther Silberstein verfasste dazu manchmal Zeitungskritiken. Er engagierte sich außerdem politisch für die liberale Deutsche Demokratische Partei (DDP). Auch Ausflüge und Reisen spielten für das unternehmungslustige Ehepaar Silberstein eine wichtige Rolle: So zeigt eine erhaltene Fotografie die Eheleute beim Spazieren in Sankt Moritz 1926, eine andere beim Winterurlaub 1925 in den Schweizer Bergen und ein Bild Walther Silberstein mit seiner Tochter Margot im Kurort Marienbad (Mariánské Lázně) im Sommer 1925. Ihren Kindern ließen die Silbersteins die bestmögliche Ausbildung zukommen: Walthers Töchter Else und Margot besuchten die Lette-Schule in Berlin; Margot half nach ihrer Ausbildung bei der Leitung des väterlichen Geschäfts. Walthers Sohn Werner studierte nach seinem Schulabschluss Medizin und promovierte 1924 mit einer Arbeit zum Thema „Die Spülbehandlung bei Entleerungsbehinderung des Magens“. Nach dem Studium arbeitete er an der Charité und forschte ab 1926 als Bakteriologe am Robert-Koch-Institut (RKI) in Berlin. Heinz Grünwald absolvierte ein Studium der Rechtswissenschaften, promovierte und war später als Referendar und Versicherungsbeamter tätig. Im März 1930 starb Walther Silberstein in Berlin. Die verwitwete Ada führte sein Herrenbekleidungsgeschäft wohl noch bis 1934 weiter, danach firmierte es, nicht mehr in Familienhand, als Filiale des Damenmodehauses „Stein im Hofe GmbH“. Ada bezog nach dem Tod ihres Mannes mit den noch bei ihr wohnenden Kindern eine Vierzimmerwohnung in der Cuxhavener Straße 12 im Hansaviertel.

Mit der schrittweisen Entrechtung und Verfolgung von Jüdinnen und Juden seit 1933 – beziehungsweise aller Personen, die nach den Nürnberger Gesetzen im NS-Staat als Juden galten – begannen auch staatliche Zwangsmaßnahmen gegen Ada Silberstein und ihre Angehörigen. Darunter fielen zahlreiche Maßnahmen der Diskriminierung und sozialen Ausgrenzung, des Entzugs staatsbürgerlicher Rechte sowie der Verdrängung aus dem Berufs- und Wirtschaftsleben. Bereits in der Zeit der Weimarer Republik war Berlin zum Schauplatz antisemitischer Ausschreitungen geworden und Anfang der 1930er-Jahre hatte die sichtbare Brutalität in Form von Straßenkämpfen, Saalschlachten und SA-Aufmärschen in den Straßen massiv zugenommen. Ab 1933 institutionalisierte sich der Antisemitismus mit Hilfe staatlicher Autorität. Gesetze und Sondererlasse drängten Ada Silberstein und ihre Familienangehörigen zunehmend in die Position von Rechtlosen. Werner Silberstein war bereits im Frühjahr 1933 mit dem judenfeindlichen „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ aus seiner Stellung am RKI entlassen worden. Er wurde außerdem aus dem Ärzteverband ausgeschlossen und ihm wurde seine Kassenzulassung entzogen. Noch im selben Jahr emigrierte er mit seiner Ehefrau Ronja Silberstein, geborene Kolodny (1899–1978), in das britische Mandatsgebiet Palästina. Kurz bevor ihr Sohn Dr. Heinz Grünwald im Oktober 1933, der zuletzt Landgerichtsrat gewesen war, ebenfalls nach Palästina auswanderte, verkleinerte sich Ada Silberstein erneut und zog mit ihrer damals 14-jährigen Tochter Vera in eine Zweizimmerwohnung in der Kurfürstenstraße 107. Adas Stieftochter Margot, die mit ihrem Ehemann Gedalja Hepner zuletzt in Leipzig gelebt hatte, gelang 1939 mit ihrem Mann und den gemeinsamen Kindern in letzter Minute die Flucht nach Großbritannien. Lily Toni, nun verheiratete Heimann, war mit ihrem Mann nach Belgien gegangen, wo sie zu Kriegsbeginn in Brüssel lebte. Ob auch Ada Silberstein in den 1930er-Jahren Pläne verfolgte, aus Deutschland zu entkommen, geht aus den vorliegenden Quellen nicht hervor. Sollte sie konkrete Schritte unternommen haben, so scheiterten diese. Spätestens Anfang der 1940er-Jahre war das Leben für die Witwe in Berlin zum reinen Existenzkampf geworden. So konnte sie sich mit der Polizeiverordnung vom 1. September 1941 „über die Kennzeichnung der Juden“ ab dem 19. des Monats nur noch mit stigmatisierendem „Judenstern“ in der Öffentlichkeit bewegen. Bis zuletzt lebte Vera mit ihr in der Kurfürstenstraße und schließlich auch der aus Breslau (Wrocław) stammende Heinz Wolff (*1920), den Vera im März 1941 heiratete.

Der Entrechtung folgte die Deportation: Am 1. Oktober 1941 hatte die Gestapo die Jüdischen Gemeinde Berlins informiert, dass die „Umsiedlung“ der Berliner Jüdinnen und Juden beginnen würde. Ada Silberstein erhielt den Deportationsbescheid im Winter 1941. Sie wurde in einem der Berliner Sammellager interniert und von dort aus am 19. Januar 1942 mit dem „IX Transport“ in das Ghetto Riga deportiert. Die damals 54-jährige Ada wurde entweder unmittelbar nach der Ankunft des Transports in Riga ermordet oder zu einem späteren Zeitpunkt. Sie gehörte jedenfalls nicht zu den wenigen Überlebenden des Rigaer Ghettos. Ihre Tochter Vera lebte mit Heinz Wolff noch bis in den Sommer 1942 in Berlin in einer Wohnung in der Hauptstraße 13 in Schöneberg. Am 15. August 1942 wurden Vera und Heinz Wolff ebenfalls in das Ghetto Riga deportiert und dort ermordet.

Von den Kindern und Stiefkindern Adas überlebten Heinz Grünwald, Werner Silberstein und Margot Silberstein mit ihren Familien im Exil in Palästina und Großbritannien. Lily Toni Heimann wurde mit ihrem Ehemann Fritz nach dem Einmarsch der Wehrmacht in Belgien 1940 verhaftet. Das Schicksal von Fritz Heimann geht aus den vorliegenden Quellen nicht hervor, es ist aber unwahrscheinlich, dass er überlebte, da seine Verwandten nach 1945 kein Lebenszeichen von ihm erhielten. Lily Toni Heimann war zuletzt in der Kaserne Dossin im SS-Sammellager Mecheln (Malines) interniert, wurde von dort aus am 15. Januar 1944 in das Vernichtungslager Auschwitz deportiert und dort ermordet. Adas Bruder Curt Arnstein war im Juni 1938 in Berlin-Schargendorf verstorben. Seiner Ehefrau Ilse, geborene Franck (*1899), gelang im April 1939 mit ihren zwei Söhnen die Flucht nach Kuba. Später lebte sie in den USA.