Recha Joseph geb. Seide

Verlegeort
Neue Hochstr. 10
Bezirk/Ortsteil
Gesundbrunnen
Verlegedatum
März 2010
Geboren
17. Dezember 1885 in Czarnikau (Posen) / Czarnków
Deportation
am 17. März 1943 nach Theresienstadt
Ermordet
in Auschwitz

Recha Seide wurde am 17. Dezember 1885 in Czarnikau in der Provinz Posen (heute: Czarnków / Polen) geboren, die damals zum Deutschen Reich gehörte. Wahrscheinlich zog sie nach Ende des Ersten Weltkrieges nach Berlin, als Posen an Polen überging. Sie war mit dem Kaufmann Hermann Joseph verheiratet, der ebenfalls aus der Provinz Posen stammte. In Berlin wohnten die Eheleute Joseph zunächst in der Prinzessinnenstraße 24 in Kreuzberg. Am 11. Dezember 1920 kam ihr erster Sohn Rolf zur Welt. Etwa ein Jahr später, am 20. Dezember 1921, wurde der zweite Sohn namens Alfred geboren. Den Söhnen zufolge lebte die Familie im jüdischen Glauben. Vermutlich Anfang der 1930er-Jahre zogen die Josephs in den Berliner Wedding. Dort bewohnten sie eine 3½-Zimmer-Wohnung in der Neuen Hochstraße 10 im 1. Stock des Vorderhauses. Recha Josephs Ehemann Hermann betrieb mehrere Marktstände. Er verkaufte Herrentextilien auf den Märkten in der Badstraße, der Travemünder Straße und der Triftstraße und machte damit gute Geschäfte.<br />
<br />
Das bis dahin glückliche Leben der Familie Joseph änderte sich abrupt, als 1933 die Nationalsozialisten an die Macht kamen. Der älteste Sohn Rolf besuchte zu diesem Zeitpunkt die Volksschule in der Wattstraße. Er berichtete später, dass einer seiner Lehrer Mitglied der SA war und fortan in Uniform zur Schule kam. Der Lehrer verprügelte den jüdischen Schüler bei jeder Gelegenheit, bis Rolf Joseph 1934 die Schule verlassen musste. Recha Joseph gelang es daraufhin, ihrem Sohn eine Ausbildungsstelle in der Möbeltischlerei Zahn & Richter zu vermitteln. Nach Abschluss der dreijährigen Lehre wurde er 1938 zur Zwangsarbeit bei der IG Farben in Berlin-Lichtenberg verpflichtet. Auch der jüngere Sohn Alfred konnte die Schule nicht beenden. Von 1935 bis 1937 absolvierte er eine Schweißerlehre in einer Werkstatt in der Exerzierstraße. Danach musste er Zwangsarbeit bei der Deutschen Reichsbahn leisten. Hermann Joseph konnte seinen Beruf als Textilverkäufer nach Herbst 1938 nicht weiter ausüben. Die Gestapo beschlagnahmte sämtliche Waren und entzog ihm damit die Existenzgrundlage. Auch Hermann Joseph leistete daraufhin Zwangsarbeit bei der Deutschen Reichsbahn und später als Hilfsschlosser bei einer Firma namens Appelshausen Cöpenick. Recha Joseph wurde, soweit bekannt, nicht zur Zwangsarbeit verpflichtet.<br />
<br />
Nach den Novemberpogromen 1938 versuchten die Söhne vergeblich, ihren Vater davon zu überzeugen, das Land zu verlassen. Doch den Erinnerungen von Rolf Joseph zufolge war Hermann Joseph der Überzeugung, dass der Familie nichts zustoßen würde aufgrund seiner militärischen Ehrenauszeichnungen aus dem Ersten Weltkrieg. Er sei ein „eingefleischter Deutscher“ gewesen. Die Söhne Rolf und Alfred Joseph glaubten nicht an diesen vermeintlichen Schutz. Sie tauchten im Juni 1942 unter.<br />
<br />
Recha Joseph und ihr Ehemann Hermann blieben von den ersten Wellen der Deportationen noch verschont. Am 21. Februar 1943 kam die Berliner Gestapo jedoch zu ihrer Wohnung in der Neuen Hochstraße 10 und verhaftete sie. Das Ehepaar wurde am 17. März 1943 mit dem „4. Großen Alterstransport“ vom Güterbahnhof Berlin Moabit in das Ghetto Theresienstadt deportiert. Dieser Transport umfasste insgesamt 1342 Personen, überwiegend Jüdinnen und Juden aus Berlin. Den Transportlisten ist zu entnehmen, dass viele der Deportierten im Ersten Weltkrieg Kriegsauszeichnungen erhalten hatten, wie auch Hermann Joseph. Sie wurden zusammen mit ihren Ehefrauen auf diesen Transport geschickt.<br />
<br />
Von Theresienstadt aus wurde die zu diesem Zeitpunkt 58-jährige Recha Joseph zusammen mit ihrem Mann am 1. Oktober 1944 weiter in das Vernichtungslager Auschwitz gebracht. Dort wurden beide vermutlich direkt nach der Ankunft ermordet.<br />
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Die Söhne Rolf und Alfred Joseph überlebten die NS-Zeit. Die Berliner Lumpensammlerin Marie Burde versteckte die beiden jungen Männer in ihrer Kellerwohnung. Rolf Joseph wurde eines Tages bei einer Straßenkontrolle verhaftet. Es gelang ihm durch einen Sprung vom Zug, dem Transport nach Auschwitz zu entgehen. Er schlug sich nach Berlin durch, wo er abermals untertauchte. Alfred Joseph wurde noch kurz vor Kriegsende von der Gestapo verhaftet und in das KZ Sachsenhausen gebracht. Er überlebte die Haft und den Todesmarsch.<br />
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Recha Seide wurde am 17. Dezember 1885 in Czarnikau in der Provinz Posen (heute: Czarnków / Polen) geboren, die damals zum Deutschen Reich gehörte. Wahrscheinlich zog sie nach Ende des Ersten Weltkrieges nach Berlin, als Posen an Polen überging. Sie war mit dem Kaufmann Hermann Joseph verheiratet, der ebenfalls aus der Provinz Posen stammte. In Berlin wohnten die Eheleute Joseph zunächst in der Prinzessinnenstraße 24 in Kreuzberg. Am 11. Dezember 1920 kam ihr erster Sohn Rolf zur Welt. Etwa ein Jahr später, am 20. Dezember 1921, wurde der zweite Sohn namens Alfred geboren. Den Söhnen zufolge lebte die Familie im jüdischen Glauben. Vermutlich Anfang der 1930er-Jahre zogen die Josephs in den Berliner Wedding. Dort bewohnten sie eine 3½-Zimmer-Wohnung in der Neuen Hochstraße 10 im 1. Stock des Vorderhauses. Recha Josephs Ehemann Hermann betrieb mehrere Marktstände. Er verkaufte Herrentextilien auf den Märkten in der Badstraße, der Travemünder Straße und der Triftstraße und machte damit gute Geschäfte.

Das bis dahin glückliche Leben der Familie Joseph änderte sich abrupt, als 1933 die Nationalsozialisten an die Macht kamen. Der älteste Sohn Rolf besuchte zu diesem Zeitpunkt die Volksschule in der Wattstraße. Er berichtete später, dass einer seiner Lehrer Mitglied der SA war und fortan in Uniform zur Schule kam. Der Lehrer verprügelte den jüdischen Schüler bei jeder Gelegenheit, bis Rolf Joseph 1934 die Schule verlassen musste. Recha Joseph gelang es daraufhin, ihrem Sohn eine Ausbildungsstelle in der Möbeltischlerei Zahn & Richter zu vermitteln. Nach Abschluss der dreijährigen Lehre wurde er 1938 zur Zwangsarbeit bei der IG Farben in Berlin-Lichtenberg verpflichtet. Auch der jüngere Sohn Alfred konnte die Schule nicht beenden. Von 1935 bis 1937 absolvierte er eine Schweißerlehre in einer Werkstatt in der Exerzierstraße. Danach musste er Zwangsarbeit bei der Deutschen Reichsbahn leisten. Hermann Joseph konnte seinen Beruf als Textilverkäufer nach Herbst 1938 nicht weiter ausüben. Die Gestapo beschlagnahmte sämtliche Waren und entzog ihm damit die Existenzgrundlage. Auch Hermann Joseph leistete daraufhin Zwangsarbeit bei der Deutschen Reichsbahn und später als Hilfsschlosser bei einer Firma namens Appelshausen Cöpenick. Recha Joseph wurde, soweit bekannt, nicht zur Zwangsarbeit verpflichtet.

Nach den Novemberpogromen 1938 versuchten die Söhne vergeblich, ihren Vater davon zu überzeugen, das Land zu verlassen. Doch den Erinnerungen von Rolf Joseph zufolge war Hermann Joseph der Überzeugung, dass der Familie nichts zustoßen würde aufgrund seiner militärischen Ehrenauszeichnungen aus dem Ersten Weltkrieg. Er sei ein „eingefleischter Deutscher“ gewesen. Die Söhne Rolf und Alfred Joseph glaubten nicht an diesen vermeintlichen Schutz. Sie tauchten im Juni 1942 unter.

Recha Joseph und ihr Ehemann Hermann blieben von den ersten Wellen der Deportationen noch verschont. Am 21. Februar 1943 kam die Berliner Gestapo jedoch zu ihrer Wohnung in der Neuen Hochstraße 10 und verhaftete sie. Das Ehepaar wurde am 17. März 1943 mit dem „4. Großen Alterstransport“ vom Güterbahnhof Berlin Moabit in das Ghetto Theresienstadt deportiert. Dieser Transport umfasste insgesamt 1342 Personen, überwiegend Jüdinnen und Juden aus Berlin. Den Transportlisten ist zu entnehmen, dass viele der Deportierten im Ersten Weltkrieg Kriegsauszeichnungen erhalten hatten, wie auch Hermann Joseph. Sie wurden zusammen mit ihren Ehefrauen auf diesen Transport geschickt.

Von Theresienstadt aus wurde die zu diesem Zeitpunkt 58-jährige Recha Joseph zusammen mit ihrem Mann am 1. Oktober 1944 weiter in das Vernichtungslager Auschwitz gebracht. Dort wurden beide vermutlich direkt nach der Ankunft ermordet.

Die Söhne Rolf und Alfred Joseph überlebten die NS-Zeit. Die Berliner Lumpensammlerin Marie Burde versteckte die beiden jungen Männer in ihrer Kellerwohnung. Rolf Joseph wurde eines Tages bei einer Straßenkontrolle verhaftet. Es gelang ihm durch einen Sprung vom Zug, dem Transport nach Auschwitz zu entgehen. Er schlug sich nach Berlin durch, wo er abermals untertauchte. Alfred Joseph wurde noch kurz vor Kriegsende von der Gestapo verhaftet und in das KZ Sachsenhausen gebracht. Er überlebte die Haft und den Todesmarsch.