Cella Orgler geb. Jacoby

Verlegeort
Schieritzstr. 38
Historischer Name
Zeebrüggestr. 38
Bezirk/Ortsteil
Prenzlauer Berg
Verlegedatum
06. April 2022
Geboren
27. Mai 1907 in Vandsburg (Westpreußen) / Więcbork
Deportation
am 01. März 1943 von Berlin nach Auschwitz
Ermordet
in Auschwitz

Cella Jacoby wurde am 27. Mai 1907 in Vandsburg (heute Więcbork in Polen) geboren.

Sie war das jüngste von drei Kindern des Pferdehändlers Meyer Jacoby und dessen Ehefrau Martha geb. Bernstein. Ihre Brüder Martin und Leopold wurden 1903 und 1905 ebenfalls in Vandsburg geboren.

Die Familie Jacoby war um 1920 mit ihren Kindern nach Berlin-Weißensee gezogen. Ab 1922 wird der Vater Meyer Jacoby unter der Anschrift Elsaßstraße 58 in Weißensee genannt.

Im Juli 1930 heiratete Cella Jacoby (oder auch Jakoby) auf dem Standesamt Weißensee den 1904 in Loslau geborenen Bücherrevisor Herbert Orgler.

Herbert lebte  in der Biebrichstr. 4 in Neukölln und Cella in der Elsaßstr. 58 Weißensee bei den Eltern.

Nach ihrer Hochzeit zogen sie in den Prenzlauer Berg – zunächst in den Döblinweg 4 (heute Schieritzstr. 4).

Im November 1932 starb ihre im gleichen Jahr geborene erste Tochter im Jüdischen Krankenhaus Wedding.

Vielleicht war dies der Grund ihres Umzugs in die Meyerheimstr. 12 a. Herbert wird als Bücherrevisor unter dieser Adresse mit Telefon im Berliner Adressbuch der Jahre 1933 bis 1935 verzeichnet.

Im November 1933 wurde Sohn Klaus im Jüdischen Krankenhaus Wedding geboren.

Mit dem sogenannten „Reichsbürgergesetz“ von September 1935 wurde jüdischen Bürgern die Existenz in Deutschland mehr und mehr erschwert, da sie nun rechtlich nicht mehr mit nicht-jüdischen Deutschen gleichgestellt waren. Diese kodifizierte Diskriminierung brachte für viele gewerbetreibende Jüdinnen und Juden wirtschaftliche Existenzprobleme mit sich. Davon war auch Herbert Orgler betroffen. Er musste sich zunehmend mit Gelegenheitsarbeiten durchschlagen und verlor dadurch die wirtschaftliche Grundlage, um die Miete für eine eigene Wohnung aufzubringen. In den Jahren 1936 und 1937 ist Herbert nicht im Berliner Adressbuch zu finden. Die Familie Orgler zog als Untermieter zu den Schwiegereltern und dem Schwager L. Jacoby in die Schieritzstr. 38. Leopold – Cellas Bruder – betrieb dort eine Pferdehandlung, wie in der Adressbuchausgabe von 1936 zu lesen ist.

Laut Angabe in seiner Vermögenserklärung vom August 1942 war Cellas Vater am 1. April 1933 in die Zeebrüggestr. 38 vorn, I. Obergeschoß in eine 2-Zimmer-Wohnung mit Kammer und Balkon gezogen. Er wird in den Folgejahren nicht mehr im Berliner Adressbuch genannt.

In der Ausgabe von 1938 wird der Buchhalter Herbert Orgler als Haushaltsvorstand (anstelle von Leopold Jacoby) mit dieser Anschrift verzeichnet.

Im Februar 1938 bekamen Herbert und Cella Orgler ihr drittes Kind. Tochter Ellen kam im Jüdischen Krankenhaus Wedding zur Welt. Das Glück der Familie Orgler hätte vollkommen sein können. Doch die staatlich verordneten antisemitischen Anfeindungen griffen viel zu tief ins tägliche Leben einer jeden jüdischen Familie ein.

Am 1. April 1940 wurde der Sohn Klaus in die Knabenvolksschule der Jüdischen Gemeinde in Berlin-Mitte, Kaiserstr. 29/30 eingeschult. Er durfte sie nur bis zur 2. Klasse besuchen, denn Ende Juni 1942 wurden alle jüdischen Schulen geschlossen.

Aus etwa dieser Zeit müssen die Erinnerungen der Rita Hinkelmann (* 1935) aus dem Nachbarhaus – Schieritzstr. 34 – an die befreundeten Orgler-Kinder stammen. Auch sie besuchte die Jüdische Schule in der Kaiserstraße. Das bedeutete, dass die Kinder einen täglichen Schulweg vom oberen Ende der Greifswalder Straße, diese entlang bis über den Alexanderplatz zu Fuß gehen mussten, da sie öffentliche Verkehrsmittel als „Sternträger“ nicht benutzen durften.

Rita hat ihre Erinnerungen an diese Zeit als Aufzeichnung an ihre Familie weitergegeben und damit auch die Familie Orgler dem allgemeinen Vergessen entrissen und ein Stolperstein-Gedenken erst möglich gemacht.

Cella und Herbert Orgler mussten sicher Zwangsarbeit leisten. Herbert war – laut eigener Angabe – ab 1939 bei der Firma „Gebr. Hertling“ im Westend als Transportarbeiter „dienstverpflichtet“.  Wo Cella arbeiten musste, ist nicht bekannt.

Anfang August 1942 erhielten die Eltern Martha und Meyer Jacoby ihre Aufforderung zur „Umsiedlung in den Osten“, wie die planmäßigen Deportationen verschleiernd von den Nazis bezeichnet wurden. Mit Datum vom 5. August 1942 fertigten sie ihre Vermögenserklärungen aus, in denen sie als Aufenthaltsorte ihrer Kinder angeben:

  • Martin Jacoby in NY / USA
  • Leopold Jacoby in Lyon/Frankreich und
  • Cella verh. Orgler als ihre Untermieter in 1 Zimmer in der Zeebrüggestr. 38.

Am 31.August 1942 wurden Martha und Meyer Jacoby mit dem 53. Alterstransport ins KZ Theresienstadt deportiert, wo ihre Sterbedaten mit dem 20. April und 7. Juni 1943 dokumentiert wurden.  

Herbert und Cella blieben mit den Kindern in der Wohnung und mussten weiter ihren „Dienstverpflichtungen“ nachkommen. Wie sie die Kinderbetreuung regelten, ist nicht überliefert.

Am 28. Februar 1943 (6 Monate nach der Deportation ihrer Eltern) wurde Cella im Rahmen der sogenannten „Fabrikaktion“ an ihrem Arbeitsplatz verhaftet und am 1. März 1943 mit dem 31. Osttransport nach Auschwitz deportiert. Auf der Transportliste stehen fast nur weibliche Namen – vermutlich viele Mütter.

Auch Herbert wurde am selben Tag inhaftiert und am 6. März 1943 gemeinsam mit seinen Kindern Klaus und Ellen mit dem 35. Osttransport nach Auschwitz deportiert.

Ob Cella ihre Kinder dort noch einmal gesehen hat, ist sehr unwahrscheinlich. Wahrscheinlich wurden die beiden Kinder direkt nach ihrer Ankunft in den Gaskammern ermordet – wie vermutlich wenige Tage zuvor auch ihre Mutter Cella. Für sie und ihre Kinder wurden keine genauen Todesdaten dokumentiert.

Der 39-jährige Herbert wurde auf der berüchtigten „Rampe“ als „arbeitsfähig“ selektiert und musste in verschiedenen KZ Zwangsarbeit verrichten. Am 2. Mai 1945 wurde er in Mühldorf am Inn von den Amerikanern befreit.