Lilli Dora Rehfisch geb. Stadthagen

Verlegeort
Württembergallee 26
Bezirk/Ortsteil
Westend
Verlegedatum
08. November 2921
Geboren
29. Januar 1891 in Berlin
Verhaftet
31. Oktober 1941 in Nürnberg
Deportation
am 29. November 1941 nach Riga-Jungfernhof
Ermordet

Lilli Dora Rehfisch, geb. Stadthagen, wurde am 29. Januar 1891 in Berlin geboren. Ihre Eltern waren Agnes Stadthagen (1864-1938), geb. Jacobi, und der Justizrat Dr. Julius Stadthagen (1855-1912), der als Anwalt an Berliner Landgerichten tätig war. Die Mutter stammte aus Hamburg, der Vater war gebürtiger Berliner. Die Familie lebte zunächst in Berlin-Mitte, in der Zimmerstr. 94, und zog später in den Bezirk Tiergarten, wo sie „Am Karlsbad 2“ wohnte. Lilli Stadthagen (Rehfisch) hatte zwei Geschwister: eine ältere Schwester Toni (1887-1942) und einen jüngeren Bruder Paul (1893-1943). Unter vielen Verwandten war auch ihr Onkel, der angesehene sozialdemokratische (SPD) Reichstagsabgeordnete Arthur Stadthagen (1857-1917). Lilli Rehfischs Vater war Amateur-Ägyptologe und hatte eine Sammlung antiker Fundstücke in der Familienwohnung. Auf einer Rückreise von Ägypten 1912 starb er auf See an einem Herzinfarkt am 9. März. Sein Leichnam wurde von Neapel aus mit dem Zug nach Berlin transportiert. Er ist auf dem Jüdischen Friedhof Weißensee in Berlin beerdigt.

Lilli Stadthagen (Rehfisch) schrieb sich 1911 an der Friedrich-Wilhelm-Universität in Berlin für Naturwissenschaften ein, 1913 für Medizin. Eine Leistung für eine Frau in dieser Zeit. Es war ihr Ehrgeiz zu der bahnbrechenden Generation der ersten weiblichen Ärzten zu gehören. 1916 studierte sie auch ein Semester lang Medizin an der Ludwig-Maximilian-Universität in München, bevor sie zurückkehrte, um ihr Studium in Berlin fortzusetzen, allerdings ohne ihre Approbation als Ärztin zu erlangen.

Lilli Stadthagen (Rehfisch) hatte um 1913 herum Dr. Hans Rehfisch (1891-1960), einen aufstrebenden Bühnenautor und Rechtsreferendar, getroffen. Hans Rehfisch diente als Soldat im 1. Weltkrieg und das Paar heiratete im Mai 1917, während Hans Rehfisch auf Urlaub in Berlin war. Am 31. Januar 1918 wurde ihr Sohn Thomas geboren. Die Familie zog 1919 in ihre Wohnung in der Württembergallee 26-27 im Berliner Westend, wo ihre Tochter Beate am 3. August 1921 geboren wurde. Viele ihrer engeren Verwandten lebten auch im Westend, so ihre Mutter Agnes Stadthagen und Ihre Schwester Toni Salomon in der Hölderlinstraße 10 und ihr Bruder Paul Stadthagen in der Kastanienallee 24. Hans Rehfischs Schriftstellerkarriere hatte inzwischen begonnen; er wurde ein erfolgreicher Bühnenautor der Weimarer Zeit.

Lilli Rehfisch war für viele Stücke von H. Rehfisch ein Antrieb und eine Hilfe, indem sie auf seine Stücke, die in Arbeit waren, reagierte und diese bewertete. Durch das Arbeiten in angrenzenden Arbeitszimmern wurde die Wohnung für das Paar zu einem beruflichen und gesellschaftlichen Mittelpunkt, als ihre Karrieren Fortschritte machten. Lilli Rehfisch genoss die Natur und segelte mit ihrem eigenen Boot auf den Havelseen, mit Liegeplätzen in der Nähe von Pichelsberg. (Pichelsberg ist ein Charlottenburger Stadtbezirk.)

Während Lilli Rehfischs Medizinstudium durch ihre Eheschließung und die neu entstandene Familie unterbrochen worden war, führte ihr medizinisches Interesse sie nun zu dem aufstrebenden Gebiet der Psychotherapie. Sie absolvierte in den 20er- Jahren eine Ausbildung zur Psychotherapeutin bei Alexander ‚Alphonse‘ Neuer (1883-1941), einem Anhänger der Individualpsychologie des Psychoanalytikers Alfred Adler. Dieser Zugang zur Therapie berücksichtigt sowohl Umwelteinflüsse als auch persönliche familiäre Erfahrungen bei der Behandlung und schloss einen aufkommende Feminismus ein.

Als Psychotherapeutin behandelte Lilli Rehfisch Erwachsene und junge Leute in ihrem Arbeitszimmer in der Wohnung und Kinder in Ferienlagern, außerdem Patienten, die ihr von dem berühmten Therapeuten Fritz Künkel (1889-1956) empfohlen worden waren. Sie hielt öffentliche Vorträge und moderierte Radiosendungen über psychische Gesundheit und ihr Gebiet der Psychotherapie. A. Neuer ermutigte sie, ihr Medizinstudium wieder aufzunehmen, in der Absicht, sich schließlich als Ärztin zu qualifizieren, um zusammen mit der Gruppe der Berliner Adlerianer um Neuer ihre Praxis als Therapeutin zu ergänzen.

1930 gab Lilli Rehfisch nach dem Internationalen Kongress für Individualpsychologie, der in Berlin abgehalten wurde, für Alfred Adler einen Empfang in ihrer Familienwohnung. Ihre Tochter Beata Duncan (Beate Rehfisch) erinnert sich an dieses Ereignis (geschildert in ihrer Gedichtsammlung „Berlin Blues“) sowie an viele andere Veranstaltungen in der Wohnung ihrer Eltern. Es war eine Zeit bemerkenswerter schöpferischer und intellektueller Aktivität.

Indes, Hans Rehfisch wurde 1933 nach der Machtübernahme Hitlers wegen seiner Anti-Nazi-Stücke für eine kurze Zeit inhaftiert und floh nach seiner Haftentlassung aus Deutschland nach Wien. Die Ehe von Lilli und Hans Rehfisch war bereits in Schwierigkeiten und das Paar trennte sich nun; ihre Scheidung wurde 1939 abgeschlossen.

Wegen ihrer jüdischen Herkunft entschied Lilli Rehfisch etwas später, dass es für ihre Kinder Thomas und Beate sicherer wäre zu emigrieren. Die zwei Kinder reisten 1934 nach Großbritannien, anfangs um die Bunce Court School in Kent zu besuchen, eine Schule mit einem reformpädagogischen Konzept, die die Direktorin Anna Essinger von Herrlingen in Deutschland nach Kent verlegt hatte. Lilli Rehfisch blieb in Berlin und wurde von ihrem Schwiegervater, dem bekannten Kardiologen Prof. Dr. Eugen Rehfisch (1862-1937) unterstützt, der ihre psychiatrischen Forschungsinteressen teilte.

Lilli Rehfisch suchte aus Krankheitsgründen während der 1930er- Jahre mehrere Sanatorien in Deutschland auf; mit Beginn des 2. Weltkrieges hatte sie nicht mehr auswandern können. In Berlin traf sie einen neuen Gefährten, Bernhard Gros (1870-1941) aus Altdorf im Schwarzwald; das Paar konnte trotz Verfolgung und harter Einschränkungen noch eine späte Beziehung genießen. Angeklagt wegen des Nicht-Tragens eines „Judensterns“, wurden Lilli Rehfisch und Bernhard Gros am 31. Oktober 1941 in Nürnberg verhaftet, als sie durch Süddeutschland reisten. Anschließend wurden sie zusammen am 29. November 1941 von Nürnberg aus in das Konzentrationslager Jungfernhof bei Riga (Lettland) deportiert.

Lilli Rehfisch wurde im Winter 1941 ermordet.

Bernhard Gros wurde im Winter 1941 ermordet. 

Lilli Rehfischs Schwester Toni Salomon und ihre Nichte Eva-Marie Salomon wurden am 11. Juli 1942 in das Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau deportiert, wo sie ermordet wurden. Ihr Bruder Paul Stadthagen wurde am 23. September 1942 in das Ghetto Theresienstadt deportiert, wo er ermordet wurde.

Lilli Rehfischs Kinder Thomas und Beate erinnerten sich an sie als innig geliebte Mutter, als eine Frau von Intelligenz, Mitgefühl und Einfühlungsvermögen, als eine weise und erfahrene Therapeutin, die einen Beitrag zu der frühen Entwicklung eines wichtigen Systems der Psychotherapie geleistet hat. Sie wird heute von ihren Nachkommen, ihren Enkeln und Urenkeln geehrt.

Die Biographie ist von Lilli Rehfischs Enkel Stephen Duncan unter Mithilfe ihres Urenkels Robert Duncan geschrieben worden.

Lilli Rehfischs  Stolperstein ist von den Nachkommen gespendet worden. 

 

Weblinks:

Toni Salomon: https://www.berlin.de/ba-charlottenburg-wilmersdorf/ueber-den-bezirk/geschichte/stolpersteine/artikel.1146363.php 

Paul Stadthagen https://www.berlin.de/ba-charlottenburg-wilmersdorf/ueber-den-bezirk/geschichte/stolpersteine/artikel.179349.php

Eva-Marie Salomon https://www.berlin.de/ba-charlottenburg-wilmersdorf/ueber-den-bezirk/geschichte/stolpersteine/artikel.1146363.php