Sophie Dorothea Freundlich geb. Leeser

Verlegeort
Bayerische Straße 33
Bezirk/Ortsteil
Wilmersdorf
Verlegedatum
06. Juni 2018
Geboren
18. September 1886 in Köln
Beruf
Pianistin
Deportation
am 12. Januar 1943 nach Auschwitz
Ermordet
in Auschwitz

Sophie Dorothea Freundlich wurde am 18. September 1886 in Köln geboren. Neuere Recherchen haben gezeigt, dass sie nicht eine geborene Lesser war, wie man zur Zeit der Stolpersteinverlegung meinen musste, sondern dass ihr Familienname Leeser lautete. Der Fehler hat sich schon 1939 eingeschlichen. Dorotheas Eltern waren Carl Leeser und seine Frau Emma, geb. Erda. Carl Leeser betrieb in Köln mit seiner Frau eine Leinen- und Bettwarenhandlung in der Hohen Straße 15. Als Dorothea, Rufname Dora, 10 Jahre alt war, zogen Leesers mitsamt des Geschäfts um, nach St. Agatha 28. Noch vor der Jahrhundertwende ist Carl Leeser in dem Adressbuch nicht mehr zu finden. Vermutlich war er gestorben und seine Witwe wohnte mit Dora (und evtl. weiteren Kindern) anderswo zur Untermiete. Erst 1907 und in den folgenden Jahren ist Emma Leeser, Witwe, in der Roonstraße 31 verzeichnet.

Inzwischen hatte Dora eine Musikausbildung am Konservatorium Köln absolviert, offenbar mit Schwerpunkt Klavier. Denn 1913 gibt es in der Roonstraße 31 zwei Einträge: Emma Leeser, Witwe, und Dora Leeser, Klavierlehrerin. Ein Jahr später bezeichnet Dora sich als Pianistin. Zu Kriegsbeginn sind Mutter und Tochter in die Lindenstraße 92 umgezogen. Dora war nun 28 Jahre alt.

Aufgrund ihres Berufes verkehrte Dora sicherlich in Kölner Künstlerkreisen. So wird sie den Avantgarde-Maler und Bildhauer Otto Freundlich kennengelernt haben. Er war einer der ersten Vertreter der abstrakten Kunst. Ihn heiratete Dora am 23. März 1916. Otto Freundlich war 1878 in Stolp, Pommern, geboren worden. Er studierte zunächst Kunstgeschichte in München und Berlin und 1907/08 Malerei und Bildhauerei in Berlin. Danach ging er nach Paris, wo er auf dem Montmartre im Bateau-Lavoir zusammen mit anderen Künstlern wohnte, unter ihnen Picasso und Braque. Laut Wikipedia kehrte er kurz vor Beginn des Ersten Weltkrieges nach Deutschland zurück und wurde Sanitätssoldat bei den Köln Deutzer Kürassieren. 1916/17 schloss er sich der Antikriegs-Bewegung an. Nach Kriegsende ging er nach Berlin und beteiligte sich dort an der Gründung der Novembergruppe, war im Arbeitsrat für Kunst und im Deutschen Werkbund. Vermutlich pendelte er noch zwischen der Hauptstadt und Köln, denn 1919 organisierte er zusammen mit Max Ernst die erste Kölner Dada-Ausstellung.

Doras Heirat war wohl der Grund, warum 1917 ihre Mutter nach Köln-Nippes zog, während Dora eine eigene Wohnung am Brüsseler Platz 8 bewohnte. Ottos offizielle Adresse war das Garnisonslazarett in der Karthäusergasse 7. In der Heiratsurkunde werden sie als Bildhauer und Pianistin bezeichnet. Dora ist 1918  im Kölner Adressbuch als Freundlich - Leeser, Dora, Musiklehrerin, eingetragen. Fast auf den Tag genau zwei Jahre nach der Heirat, am 23. März 1918, wurde die Ehe allerdings schon wieder geschieden. Otto war wegen Schwerhörigkeit aus dem Kriegsdienst entlassen worden und ging nach Berlin. Auch Dorothea scheint trotz Scheidung in die Hauptstadt gezogen  zu sein, dort hoffte sie, als Pianistin Karriere zu machen. In einem Konzertführer vom Februar/März 1921 ist sie als Klavierbegleiterin bei einem Liederabend angekündigt, jetzt unter dem Namen Leeser - Freundlich. Gut möglich, dass Dora weiterhin in Kontakt mit Otto war. Dieser siedelte 1924 nach Paris um, einige Jahre später hatte er eine andere Lebensgefährtin. 

Unklar bleibt, ob Dora identisch ist mit der im Berliner Adressbuch nur 1920 und 1921 aufgeführten Dorothea Freundlich, Rentiere, wohnhaft in der Kuno-Fischer-Straße 16. Otto scheint neben seinem Wohnsitz in Paris bis in die 30er Jahre eine Wohnung in Berlin am Kaiserplatz (heute Bundesplatz) unterhalten zu haben. Im Jüdischen Adressbuch von Berlin, in dem nicht nur Hauptmieter erscheinen, sind 1931 sowohl Dorothea (Kuno-Fischer-Straße 16) wie auch Otto Freundlich (Kaiserplatz 17) verzeichnet.

Eine gesicherte Spur von Dora finden wir erst wieder in der sog. Ergänzungskartei zur Volkszählung vom Mai 1939, in der alle Juden separat erfasst wurden. Dort ist sie als Dorothea Freundlich in der Bayerischen Straße 33 registriert, mit dem richtigen Geburtsdatum aber dem falschen Geburtsnamen „Lesser“, - in anderen zeitgleichen und späteren Dokumenten erscheint der richtige Name, Leeser 

Dorothea Freundlich konnte nicht in der Bayerischen Straße 33 bleiben. Im Rahmen von Albert Speers megalomaner „Neugestaltung“ der Hauptstadt „Germania“ war schon 1938 beschlossen worden, durch „zwangsweise Ausmietung“ und Zusammenlegen der Juden in „Judenwohnungen“ Wohnraum für Nichtjuden frei zu machen. Denn Speers Plan sah vor, zahlreiche Häuser abzureißen, und davon betroffenen „Ariern“ ehemals jüdisch bewohnte Wohnungen als Ersatz zu bieten. Etwa Anfang 1940 wurden auch jüdische Bewohner der Bayerischen Straße „ausgemietet“ und als Untermieter bei andern Juden eingewiesen. Dorothea wurde genötigt, in ein teilmöbliertes Zimmer bei Julius Kiewe in der Waitzstraße 6 zu ziehen. 

Anfang Januar 1943 musste Dorothea die „Vermögenserklärung“ ausfüllen, die allen zur Deportation Bestimmten vorgelegt wurde, und sich in das Sammellager in der Großen Hamburger Straße 26 begeben, ein von der Gestapo umfunktioniertes jüdisches Altersheim. Von da wurde sie am 12. Januar mit einem knapp 1200 Menschen umfassenden „Transport“ nach Auschwitz deportiert. Auch die populäre Schriftstellerin Else Ury war in diesem Zug. In Auschwitz wurden lediglich einige Männer zur Zwangsarbeit eingewiesen, alle andern, auch Dorothea Freundlich, sofort in den Gaskammern Birkenaus ermordet.

An Vermögen hatte Dorothea kaum etwas angeben können: einen Schrank, eine Couch, einen Übergangsmantel, zwei Blusen. Der im März bestellte Gerichtsvollzieher fand noch zusätzlich einen Nachttisch, zwei Stühle und einen kleinen Schreibtisch vor und schätzte alles auf 160 RM. Die Möbel wurden an einen Trödler für 128.- RM verkauft, die die Oberfinanzdirektion vereinnahmte. Das Zimmer wurde am 8. April geräumt.

Otto Freundlich wurde in Frankreich nach Kriegsausbruch mehrmals als „Feind“ interniert, nach Frankreichs Kapitulation dann unter dem Vichy-Regime in einem Dorf in den Pyrenäen unter Hausarrest gestellt. Im Dezember 1942 versuchte er unterzutauchen, wurde aber denunziert und im Februar 1943 verhaftet. Er wurde am 4. März 1943 vom 20 km nordöstlich von Paris gelegenen Lager Drancy nach Sobibor deportiert und kam spätestens dort ums Leben.