Charlotte Carlé

Verlegeort
Beuthstraße 10
Bezirk/Ortsteil
Mitte
Verlegedatum
22. März 2017
Geboren
22. Februar 1901 in Berlin
Beruf
Justizangestellte
Deportation
am 10. September 1943 nach Auschwitz
Später deportiert
am 10. September 1943
Ermordet
1943 in Auschwitz

Charlotte Carlé wurde am 22. Februar 1901 als zweites Kind des jüdischen Kaufmanns Nathan Moritz Grünstein genannt Carlé (1871–1942) und dessen Frau Margarete (geb. Salomon, 1876–1943) in Berlin geboren. Um diese Zeit wohnte die Familie in der Weberstraße 19 in Berlin-Friedrichshain. Sie zog in den Folgejahren jedoch mehrfach um. Charlotte Carlé hatte einen älteren Bruder, Hans Carlé (1899–1950), und eine jüngere Schwester, Alice Carlé (1902–1943). Sie trug wie ihre Eltern und ihre Geschwister zunächst den Familiennamen Grünstein, führte laut Ermächtigung des Preußischen Justizministeriums vom 29. März 1932 an Stelle des alten Familiennamens aber den Namen Carlé. Charlotte Carlé blieb bis an ihr Lebensende unverheiratet.<br />
Nach dem Schulbesuch absolvierte Charlotte Carlé eine Ausbildung zur Justizangestellten. Es ist bis heute jedoch nicht bekannt, wo sie arbeitete und ob sie je einen eigenen Hausstand gründete. Die Eltern Nathan Moritz und Margarete Carlé wohnten ab 1919 in einer großen, gut eingerichteten Wohnung in der Rankestraße 25 in Berlin-Wilmersdorf. Offenbar liefen die Geschäfte für den Vater, der in der Textilbranche tätig war und mit Tuchabfällen handelte, nach dem Ende des Ersten Weltkriegs gut, sodass sich die Familie den Umzug aus Friedrichshain in den „Neuen Westen“ unweit des Tauentzien und der Gedächtniskirche leisten konnte. Im Lauf der 1930er-Jahre litten die Eltern dann aber unter zunehmenden finanziellen Schwierigkeiten, sodass der Umzug in eine kleine Wohnung in der Nähe des Spittelmarktes nötig wurde.<br />
Ab 1938 waren Nathan Moritz und Margarete Carlé in der Beuthstraße 10 gemeldet, wo sie sich nunmehr mit ihren zwei Töchtern Charlotte und Alice eine 2-Zimmer-Wohnung teilten, die spärlich eingerichtet war. Laut einer Erklärung, die der Vater als Familienvorstand im Sommer 1942 ausfüllen musste, verfügten die Carlés über kein Vermögen, hatten aber auch keine Schulden. Die Eltern bezogen keine Rente und waren nicht sozialversichert, und offenbar mussten die beiden Töchter Charlotte und Alice sie miternähren. Die Inventarliste der Wohnung, die am 14. September 1942 angelegt wurde, führte einige wenige Möbel im Wert von 484 RM auf, darunter ein Buffet, einen Ausziehtisch, vier Stühle, eine Standuhr, einen Teppich, ein Ölbild, einen Armleuchter und einen großen Spiegel.<br />
Charlotte Carlé dürfte wie ihre Schwester Alice zu jener Zeit zur Zwangsarbeit abkommandiert gewesen sein, unbekannt ist aber, wo. Sie verfügte im Juli 1942 über ein wöchentliches Einkommen von 26 RM. Nachdem die Eltern Nathan Moritz und Margarete Carlé am 12. August 1942 in das Ghetto Theresienstadt deportiert worden waren, verblieben Charlotte und Alice Carlé zunächst in der gemeinsamen Wohnung in der Beuthstraße 10. Wenige Tage nach der „Fabrikaktion“ vom 27. Februar 1943, einer Großrazzia gegen die noch in Berlin verbliebenen Juden, versuchten sie aber unterzutauchen. Anfang März 1943 erhielten Charlotte und Alice Carlé vorübergehend Unterkunft und Verpflegung bei der ledigen Handelslehrerin Elsbeth Raatz (geb. 8.5.1906) in der Windscheidstr. 33 in Berlin-Charlottenburg. Elsbeth Raatz, die eine flüchtige Bekannte von Alice Carlé war, wurde 1963 für ihren Einsatz für von der Deportation bedrohte Juden vom West-Berliner Senat als „Unbesungene Heldin“ geehrt. Die drohende Denunziation durch einen Mitbewohner des Hauses verhinderte aber den weiteren Aufenthalt der beiden Schwestern bei ihr. Elsbeth Raatz schenkte ihnen abschließend noch ihren Reisepass.<br />
Charlotte und Alice Carlé mieteten noch Anfang März 1943 bei der Familie des Sattlers Hans Buge unter der Adresse Alt-Kladow 9/11 ein Zimmer an, hielten sich hier aber zunächst nur am Wochenende auf. Später wohnten sie ganz in Kladow und gaben vor, Ferien zu haben. Dass sie Jüdinnen waren, teilten sie ihren Vermietern nicht mit. Charlotte Carlé gab sich mit Hilfe ihres neuen Reisepasses als Elsbeth Raatz aus, nachdem der Jurist und Widerstandskämpfer Dr. Franz Kaufmann (1886–1944) das Passbild für sie ausgewechselt hatte. Lebensmittelkarten erhielten die beiden Schwestern von einem anderen Bekannten, dem Kontoristen Ernst Hallermann (1911–1994). Für Alice Carlé sollte in der Folge ebenfalls ein neuer Pass angefertigt werden, doch dazu kam es nicht mehr. Am 27. August 1943 wurden die beiden Schwestern von der Gestapo aufgegriffen und verhaftet. Ihre Kladower Adresse hatte sich in den Papieren von Franz Kaufmann befunden, als der illegale Helferkreis um ihn nach einer Denunziation aufflog. Der Gestapo gegenüber behauptete Charlotte Carlé Ende August 1943, sie habe Elsbeth Raatz den Pass bei einem Besuch in ihrer Wohnung gestohlen. Vermutlich handelte es sich hierbei um eine Schutzbehauptung, um Frau Raatz nicht weiter in Gefahr zu bringen.<br />
Charlotte und Alice Carlé wurden am 10. September 1943 mit dem „42. Transport“ nach Auschwitz deportiert. Der Transport, der das Konzentrationslager Auschwitz einen Tag später erreichte, umfasste nur 54 Personen. Aus dieser Gruppe wurden lediglich neun Frauen als Neuzugänge zum Konzentrationslager registriert, die anderen wurden sofort nach ihrer Ankunft vergast. Da heute nur ein Name der neun registrierten Frauen bekannt ist, wissen wir nicht, ob Charlotte und Alice Carlé zu der Gruppe gehörten, die sofort ermordet wurde, oder den brutalen Lageralltag noch für eine gewisse Zeit erleben mussten. Dass ihre Eltern Nathan Moritz und Margarete Carlé bereits am 11. Oktober 1942 bzw. am 9. Februar 1943 im Ghetto Theresienstadt ums Leben gekommen waren, haben sie vermutlich nie erfahren.<br />
Als einziger naher Familienangehöriger Charlotte Carlés überlebte ihr Bruder Hans die Shoah. Der einstige Schauspieler starb am 15. November 1950 verarmt in Tel Aviv. Er hatte Deutschland bereits im Herbst 1933 verlassen.<br />
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Charlotte Carlé wurde am 22. Februar 1901 als zweites Kind des jüdischen Kaufmanns Nathan Moritz Grünstein genannt Carlé (1871–1942) und dessen Frau Margarete (geb. Salomon, 1876–1943) in Berlin geboren. Um diese Zeit wohnte die Familie in der Weberstraße 19 in Berlin-Friedrichshain. Sie zog in den Folgejahren jedoch mehrfach um. Charlotte Carlé hatte einen älteren Bruder, Hans Carlé (1899–1950), und eine jüngere Schwester, Alice Carlé (1902–1943). Sie trug wie ihre Eltern und ihre Geschwister zunächst den Familiennamen Grünstein, führte laut Ermächtigung des Preußischen Justizministeriums vom 29. März 1932 an Stelle des alten Familiennamens aber den Namen Carlé. Charlotte Carlé blieb bis an ihr Lebensende unverheiratet.
Nach dem Schulbesuch absolvierte Charlotte Carlé eine Ausbildung zur Justizangestellten. Es ist bis heute jedoch nicht bekannt, wo sie arbeitete und ob sie je einen eigenen Hausstand gründete. Die Eltern Nathan Moritz und Margarete Carlé wohnten ab 1919 in einer großen, gut eingerichteten Wohnung in der Rankestraße 25 in Berlin-Wilmersdorf. Offenbar liefen die Geschäfte für den Vater, der in der Textilbranche tätig war und mit Tuchabfällen handelte, nach dem Ende des Ersten Weltkriegs gut, sodass sich die Familie den Umzug aus Friedrichshain in den „Neuen Westen“ unweit des Tauentzien und der Gedächtniskirche leisten konnte. Im Lauf der 1930er-Jahre litten die Eltern dann aber unter zunehmenden finanziellen Schwierigkeiten, sodass der Umzug in eine kleine Wohnung in der Nähe des Spittelmarktes nötig wurde.
Ab 1938 waren Nathan Moritz und Margarete Carlé in der Beuthstraße 10 gemeldet, wo sie sich nunmehr mit ihren zwei Töchtern Charlotte und Alice eine 2-Zimmer-Wohnung teilten, die spärlich eingerichtet war. Laut einer Erklärung, die der Vater als Familienvorstand im Sommer 1942 ausfüllen musste, verfügten die Carlés über kein Vermögen, hatten aber auch keine Schulden. Die Eltern bezogen keine Rente und waren nicht sozialversichert, und offenbar mussten die beiden Töchter Charlotte und Alice sie miternähren. Die Inventarliste der Wohnung, die am 14. September 1942 angelegt wurde, führte einige wenige Möbel im Wert von 484 RM auf, darunter ein Buffet, einen Ausziehtisch, vier Stühle, eine Standuhr, einen Teppich, ein Ölbild, einen Armleuchter und einen großen Spiegel.
Charlotte Carlé dürfte wie ihre Schwester Alice zu jener Zeit zur Zwangsarbeit abkommandiert gewesen sein, unbekannt ist aber, wo. Sie verfügte im Juli 1942 über ein wöchentliches Einkommen von 26 RM. Nachdem die Eltern Nathan Moritz und Margarete Carlé am 12. August 1942 in das Ghetto Theresienstadt deportiert worden waren, verblieben Charlotte und Alice Carlé zunächst in der gemeinsamen Wohnung in der Beuthstraße 10. Wenige Tage nach der „Fabrikaktion“ vom 27. Februar 1943, einer Großrazzia gegen die noch in Berlin verbliebenen Juden, versuchten sie aber unterzutauchen. Anfang März 1943 erhielten Charlotte und Alice Carlé vorübergehend Unterkunft und Verpflegung bei der ledigen Handelslehrerin Elsbeth Raatz (geb. 8.5.1906) in der Windscheidstr. 33 in Berlin-Charlottenburg. Elsbeth Raatz, die eine flüchtige Bekannte von Alice Carlé war, wurde 1963 für ihren Einsatz für von der Deportation bedrohte Juden vom West-Berliner Senat als „Unbesungene Heldin“ geehrt. Die drohende Denunziation durch einen Mitbewohner des Hauses verhinderte aber den weiteren Aufenthalt der beiden Schwestern bei ihr. Elsbeth Raatz schenkte ihnen abschließend noch ihren Reisepass.
Charlotte und Alice Carlé mieteten noch Anfang März 1943 bei der Familie des Sattlers Hans Buge unter der Adresse Alt-Kladow 9/11 ein Zimmer an, hielten sich hier aber zunächst nur am Wochenende auf. Später wohnten sie ganz in Kladow und gaben vor, Ferien zu haben. Dass sie Jüdinnen waren, teilten sie ihren Vermietern nicht mit. Charlotte Carlé gab sich mit Hilfe ihres neuen Reisepasses als Elsbeth Raatz aus, nachdem der Jurist und Widerstandskämpfer Dr. Franz Kaufmann (1886–1944) das Passbild für sie ausgewechselt hatte. Lebensmittelkarten erhielten die beiden Schwestern von einem anderen Bekannten, dem Kontoristen Ernst Hallermann (1911–1994). Für Alice Carlé sollte in der Folge ebenfalls ein neuer Pass angefertigt werden, doch dazu kam es nicht mehr. Am 27. August 1943 wurden die beiden Schwestern von der Gestapo aufgegriffen und verhaftet. Ihre Kladower Adresse hatte sich in den Papieren von Franz Kaufmann befunden, als der illegale Helferkreis um ihn nach einer Denunziation aufflog. Der Gestapo gegenüber behauptete Charlotte Carlé Ende August 1943, sie habe Elsbeth Raatz den Pass bei einem Besuch in ihrer Wohnung gestohlen. Vermutlich handelte es sich hierbei um eine Schutzbehauptung, um Frau Raatz nicht weiter in Gefahr zu bringen.
Charlotte und Alice Carlé wurden am 10. September 1943 mit dem „42. Transport“ nach Auschwitz deportiert. Der Transport, der das Konzentrationslager Auschwitz einen Tag später erreichte, umfasste nur 54 Personen. Aus dieser Gruppe wurden lediglich neun Frauen als Neuzugänge zum Konzentrationslager registriert, die anderen wurden sofort nach ihrer Ankunft vergast. Da heute nur ein Name der neun registrierten Frauen bekannt ist, wissen wir nicht, ob Charlotte und Alice Carlé zu der Gruppe gehörten, die sofort ermordet wurde, oder den brutalen Lageralltag noch für eine gewisse Zeit erleben mussten. Dass ihre Eltern Nathan Moritz und Margarete Carlé bereits am 11. Oktober 1942 bzw. am 9. Februar 1943 im Ghetto Theresienstadt ums Leben gekommen waren, haben sie vermutlich nie erfahren.
Als einziger naher Familienangehöriger Charlotte Carlés überlebte ihr Bruder Hans die Shoah. Der einstige Schauspieler starb am 15. November 1950 verarmt in Tel Aviv. Er hatte Deutschland bereits im Herbst 1933 verlassen.