Johanna Margarete "Grete" Sultan

Verlegeort
Ernst-Ring-Sraße 2 -4
Bezirk/Ortsteil
Schlachtensee
Verlegedatum
10. August 2023
Geboren
21. Juni 1906 in Berlin
Beruf
Pianistin
Flucht
1941 USA
Überlebt

Johanna Margarete genannt Grete wird als jüngstes Kind von Ida Rosa (Coba) und Adolf Sultan am 21.06.1906 in Berlin geboren. Beide Eltern waren schon einmal verheiratet mit den Geschwistern Leo und Margarethe Mirjam Victorius. Coba und Adolf sind verwitwet und bringen drei bzw. zwei Kinder mit in die zweite Ehe. Zusammen haben sie noch zwei Kinder, Wolfgang und Grete Sultan.

Grete wird schon sehr jung vom Klavier angezogen und fängt früh an von ihrer Schwester Anni zu lernen. In der Familie wird viel musiziert und Grete hat nach den ersten Jahren Unterricht durch die Geschwister und Tanten Unterricht bei verschiedenen Lehrern, u. a. bei Richard Buhlig und Claudio Arrau.

Das Klavierspielen ist ihr Leben. Schon mit 15 Jahren tritt sie in die Musikhochschule ein um bei Leonid Kreutzer zu studieren. Grete Sultan wird eine gefeierte Interpretin von Bach und Schönberg gleichermaßen. Alte und Neue Musik an einem Konzertabend vorzutragen, der modernen Komposition eine angemessene Interpretation zuzugestehen, diesen Anspruch hat sie ihr Leben lang.

Sie war nie verheiratet und blieb lange bei ihren Eltern wohnen, obwohl sie bereits 1934 erste Fluchtgedanken hat. Im September 1935 erhält sie ein Berufsverbot. Danach tritt sie in Zürich und Italien auf, in Berlin aber nur noch in privaten jüdischen Kreisen.

Im November 1936 nimmt sich ihr Bruder Wolfgang Sultan in Leipzig das Leben. Die ganze Familie ist erschüttert. Grete bleibt, obwohl es immer gefährlicher wird in Berlin bei den Eltern. 1939 werden Sultans enteignet. Gretes Eltern und die Schwester Claere ziehen in die Konstanzer Straße 59 um.

Grete und ihre Cousine Clara Beate Berwin ziehen zusammen von der Ernst- Ring- Straße in eine zwei Zimmerwohnung in die Villa des Ehepaares Charlotte und Wolf Malinowski in der Straße Am Schlachtensee 38 um, die selber 1943 deportiert und in Auschwitz ermordet werden.**

Erst im Mai 1941 kann Grete im letzten Moment mit dem portugiesischen Passagierschiff Nyassa über Lissabon nach New York flüchten.

Dort wird sie anfangs von Familienangehörigen und Freunden unterstützt.

In frühen Jahren noch zur Schulzeit hatte sich Grete mit Vera Lachmann, der Tochter eines Freundes ihres Vaters angefreundet. Vera emigriert 1939 in die USA und ist für Grete da, als sie 1941 in New York ankommt. Vera macht Grete mit Freunden und Musikern bekannt und Grete bekommt kleine Arbeiten und kann Klavier spielen. Gretes Geschwister Käte in Venezuela und Jakob Curt in North Carolina unterstützen sie anfangs finanziell bis sie ein eigenes Einkommen hat.

Aber Gretes Auftrittsmöglichkeiten in den Vereinigten Staaten bleiben trotz allen Bemühungen und erster Erfolge rar. Ende 1943 gibt sie mit großem Erfolg ein Konzert am Vassar College. Vera Lachmann gründet 1943 eine Privatschule in der auch Grete Arbeit findet. Sie gibt wieder Klavierunterricht.

1946 unternimmt Grete eine erste Tournee in Amerika.

Grete ist glücklich, als 1946 ihre geliebte Mutter, der Vater ist im Sommer 1941 gestorben, aus der Schweiz in die USA kommt. Sie wohnen zusammen in einer kleinen Wohnung in der West 68th street. Mutter und Tochter leben bescheiden von den Einkünften Gretes durch Pianounterricht oder Konzertauftritte. Beide geben sich gegenseitigen Halt.

Anfang 1946 macht Gretes ehemaliger Lehrer Richard Buhlig Grete sie mit John Cage bekannt. Grete ist von Cage fasziniert und tritt auch immer wieder mit Stücken von ihm auf. Die beiden bleiben bis zu Cage´s Tod 1992 sehr gute enge Freunde.

1947 erhält Grete die amerikanische Staatsbürgerschaft.

1953 stellt Grete einen Entschädigungsantrag. Das Verfahren zieht sich Jahre hin. Erst ab den sechziger Jahren erhält Grete eine mäßige Rente vom Berliner Entschädigungsamt. Das Haus in der Ernst-Ring-Straße wird in den 60er Jahren der Familie Sultan/Victorius wieder zugesprochen. Es wird verkauft, denn die Familienmitglieder sind in der ganzen Welt verstreut und keiner der Familie will hier mehr wohnen.

Auch Grete will nicht zurück nach Deutschland. Anlässlich der Trauerfeier ihres Bruders Herbert in Heidelberg reist Grete 1954 nach Europa und hat innerhalb von achtzehn Tagen neun Auftritte; neben der Trauerfeier in Heidelberg auch in München Köln, Stuttgart, Berlin, Basel und in Oslo. In Berlin besucht sie alte Freunde, u. a. Wistens (jüdischer Schauspieler und Intendant), die bis heute um die Ecke im Waldsängerpfad wohnen.

Coba ist glücklich, dass ihre Tochter in Amerika Fuß fassen konnte und sie beide noch eine gemeinsame Zeit verbringen konnten. Sie muss ihre letzte Lebenszeit in einem Heim verbringen, weil sie immer schwächer wird und Grete sie nicht mehr pflegen kann.

1991 ist Grete das letzte Mal in Europa. Noch 1996, also mit neunzig Jahren tritt Grete in New York mit der Goldbergvariation auf.

Ihre Nichte Marianne Felton geb. Victorius und ihr Neffe Claus Victorius kümmern sich von Indiana Pennsylvania aus um die greise Tante und kommen alle paar Monate abwechselnd zu Besuch. Besonders Marianne ist ihr eine gute Freundin.

Erst im hohen Alter, mit 95 Jahren erfährt Grete Sultan Würdigung und Anerkennung in Deutschland. Es werden Sendungen im Radio ausgestrahlt und Zeitungsartikel geschrieben. 2002 wird ihr das Bundesverdienstkreuz 1. Klasse verliehen.

Mitte Juni 2005 wird Grete ins Krankenhaus eingeliefert, wo sie am 26. Juni, 5 Tage nach ihrem 99. Geburtstag stirbt. Ihre Urne wird auf dem Friedhof in Ferncliff nördlich von New York neben der ihrer Mutter beigesetzt.