Hermann Juras

Verlegeort
Hirtenstraße 18
Historischer Name
Hirtenstraße 21
Bezirk/Ortsteil
Mitte
Verlegedatum
21. Mai 2022
Geboren
1885 in Vandsburg, Posen, Polen
Beruf
Kaufmann
Deportation
im Oktober 1942 nach Theresienstadt
Später deportiert
im Januar 1943 nach Auschwitz
Ermordet
in Auschwiz

Hermann Judas wurde 1885 in Vandsburg, in der Nähe von Posen im damaligen Ostpreußen, geboren. Selma, seine Frau, geborene Joseph, wurde 1888 in Labishin, ebenfalls in der Nähe von Posen, geboren.<br />
Die Familien Judas und Joseph zog es, wie viele andere zu dieser Zeit, nach Berlin. Der Umzug von Juden und Nicht-Juden in das etwa 150 Meilen entfernte Berlin war typisch für die damalige Zeit. Berlin war das preußische Zentrum einer großen Zuwanderung, als Industrie, Wirtschaft und Handel im späten neunzehnten und frühen zwanzigsten Jahrhundert expandierten. Kurz vor der Wende zum 20. Jahrhundert betrug die Einwohnerzahl Berlins fast 1,9 Millionen, von denen etwa 92.000 Juden waren, was fast fünf Prozent der Gesamtbevölkerung ausmachte. Die Familien Judas und Joseph, die noch in Posen lebten, gehörten zur deutschsprachigen Bevölkerung der Provinz und lebten mit ethnischen Polen zusammen, die die polnische Sprache und Kultur beibehielten. In dieser Zeit kamen viele Berliner Juden aus der Provinz Posen, nicht nur auf der Suche nach besseren wirtschaftlichen Möglichkeiten, sondern auch nach persönlicher Freiheit (sowohl in religiöser als auch in kultureller Hinsicht), größerer sozialer Akzeptanz und besseren Aufstiegschancen für sich und ihre Nachkommen. Während die jüdische Bevölkerung von Posen im Jahr 1871 noch 62.000 Einwohner zählte, war sie bis 1905 auf 30.000 gesunken.<br />
<br />
Hermann und Selma lernten sich in Berlin kennen und heirateten im Jahr 1914. Ihr erstes Kind, Edith, wurde 1915 geboren. Sie kam jedoch bei der Grippeepidemie von 1918 ums Leben. Mit Ruths Geburt am 4. Dezember 1920 begann für die Familie eine Zeit des Glücks und des bescheidenen Wohlstands, trotz der kritischen wirtschaftlichen Situation der Nachkriegszeit in der Weimarer Republik. Ruths Großeltern mütterlicherseits waren relativ wohlhabend. Sie betrieben ein erfolgreiches Textilgeschäft, das Herren- und Knabenkleidung lieferte, die sie in ihrer großen Berliner Wohnung zuschneiden ließen und zur Weiterverarbeitung und zum Versand in die Näherei schickten. Auch die Verkaufsaktivitäten des Unternehmens fanden in der Wohnung statt. Das Unternehmen war so erfolgreich, dass die Familie Joseph es für angebracht hielt, ihren Schwiegersohn Hermann (Ruths Vater) in ein ähnliches Unternehmen einzubinden.<br />
<br />
Die Zeit nach dem Ersten Weltkrieg war von heftigen politischen Unruhen geprägt, zu denen auch zahlreiche antisemitische Vorfälle gehörten. Im Jahr 1922 wurde der prominente jüdische Industrielle Walter Rathenau ermordet, als er Außenminister im Weimarer Kabinett war. Infolgedessen änderte Hermann 1923 den Familiennamen rechtlich von Judas in Juras. (Seine Brüder taten dasselbe.) Diese Entscheidung entsprang dem Wunsch, jeglichen Antisemitismus zu vermeiden, der sich gegen den eindeutig jüdischen Namen Judas richten könnte.<br />
<br />
Die Familie Juras lebte in einem mehrheitlich jüdischen Viertel in Berlin in der Nähe des Alexanderplatzes. Zunächst wohnten sie bis 1931 oder 1932 in der Wadzeckstraße 9, danach zogen sie in eine größere Wohnung in der Hirtenstraße 21. <br />
<br />
Während der Weimarer Zeit gelang es der Familie, einen komfortablen bürgerlichen Status zu bewahren. Dies zeigte sich unter anderem darin, dass sie es sich leisten konnten, eine Betreuerin für Ruth einzustellen. Elsa Dobrunz, eine junge nichtjüdische Frau von etwa 18 Jahren, wurde in das Haus der Familie aufgenommen, um im Haushalt zu helfen und sich um die etwa zehn Jahre jüngere Ruth zu kümmern.<br />
Ruths Mutter Selma war eine moderne Frau, die im Familienbetrieb sehr aktiv geworden war, so dass eine Hilfe im Haushalt und bei der Beaufsichtigung von Ruth benötigt wurde. Elsa schlief im Arbeitszimmer der Wohnung, das tagsüber zum Zuschneiden von Stoffen genutzt wurde, aber ein Tagesbett hatte, das nachts geöffnet werden konnte. Ruth entwickelte eine enge Beziehung zu Elsa, die in gewisser Weise den Ersatz für die ältere Schwester darstellte, die Ruth nie hatte. Elsa brachte sie zur Schule und holte sie wieder ab, nahm sie mit zum Spielen in den Friedrichshainer Park und unternahm mit ihr andere Aktivitäten. Diese emotionale Bindung zu Elsa (seitens der ganzen Familie) war auch darauf zurückzuführen, dass Elsas Schwester Lotte in ähnlicher Weise von Ruths Onkel Benno und Tante Herta eingestellt worden war.<br />
<br />
Nachdem Hitler 1933 Reichskanzler geworden war, wurde das Leben der Juden in Deutschland durch die Verschärfung der antijüdischen Politik und Gesetzgebung miserabel. Eine der ersten Maßnahmen der Nazis im Jahr 1933 war die Förderung eines wirtschaftlichen Boykotts gegen jüdische Unternehmen. Obwohl die deutsche Bevölkerung anfangs nicht mit überwältigender Mehrheit zustimmte, forderten die wiederholte Propaganda und der soziale Druck bald ihren Tribut, so dass selbst Deutsche ohne große Sympathie für den Nationalsozialismus unter starken Druck gerieten, jüdische Geschäfte zu meiden. Diese Politik wirkte sich katastrophal auf das Bekleidungsgeschäft der Familie aus und zwang Hermann, es 1935 aufzugeben. Die Einkommensverluste und der völlige Verlust der Existenzgrundlage waren ein schwerer Schlag für die Familie, deren materieller Wohlstand sich in den folgenden Jahren weiter verschlechterte. Nachdem Ruths Vater Hermann das Geschäft geschlossen hatte, arbeitete er später in einem örtlichen jüdischen Krankenhaus in der Iranischen Straße 1 (heute Heinz-Galinski-Straße 1). Obwohl die Arbeit nicht sehr gut bezahlt wurde, konnte Hermann Lebensmittel aus dem Kommissariat mit nach Hause nehmen, was der Familie half.<br />
<br />
Der Wirtschaftsboykott war nicht die einzige diskriminierende und strafende Maßnahme der Nazis. Insgesamt erließ das Regime 1933-1945 über 400 Maßnahmen. Sie zielten darauf ab, den Juden die bürgerlichen Rechte zu entziehen (die Staatsbürgerschaft wurde ihnen de facto aberkannt), sie an der Teilnahme an der deutschen Gesellschaft zu hindern, sie aus der Wirtschaft und dem gesellschaftlichen Leben auszuschließen, sie zu demütigen und zum Objekt des Spotts der deutschen Bevölkerung zu machen und sie schließlich vollständig zu vernichten.<br />
<br />
Hermann glaubte jedoch, dass sein Status als Kriegsveteran des Ersten Weltkriegs ihn und seine Familie vor den schlimmsten Auswüchsen des Regimes schützen würde. Eine Auswanderung in ihrem Alter (Hermann und Selma waren 1936 51 und 48 Jahre alt) war angesichts ihrer wirtschaftlichen Lage und ihrer Unfähigkeit, eine andere Sprache als Deutsch zu sprechen, für sie unvorstellbar.<br />
<br />
Im Sommer 1938, als sich die internationale und innenpolitische Lage weiter verschlechterte, wurde Hermann und Selma jedoch klar, dass sie sich auf eine mögliche Auswanderung vorbereiten sollten. Sie beauftragten einen entfernten Verwandten in Indianapolis, Indiana, mit der Beschaffung der notwendigen Papiere für die Auswanderung in die USA. Nachdem Selma und Hermann die eidesstattlichen Erklärungen erhalten hatten, legten sie die Papiere jedoch für eine spätere Verwendung beiseite und beantragten nicht sofort ein Visum bei der US-Regierung.<br />
<br />
Nach den schrecklichen Ereignissen der Kristallnacht im November 1938 beschlossen Hermann und Selma schließlich, ein Visum für die USA zu beantragen. Zu diesem Zeitpunkt wurden die US-Konsularbüros jedoch mit solchen Anträgen überschwemmt, so bedrohlich war die Situation plötzlich geworden. Obwohl sie geeignete eidesstattliche Erklärungen vorlegen konnten, mussten sie sich aufgrund der damals geltenden restriktiven US-Einwanderungsquoten um die verfügbaren Plätze bewerben. Diese Quoten basierten auf dem Herkunftsland der Antragsteller, wobei das Herkunftsland durch den Geburtsort und die aktuelle nationale Zugehörigkeit dieses Ortes definiert wurde. Hermann und Selma, die in der Nähe von Poznań (das 1938 zu Polen gehörte) geboren wurden, erhielten einen Platz auf der Warteliste auf der Grundlage der polnischen Quote, die damals mit einer hoffnungslos langen Wartezeit verbunden war, die viel länger war, als wenn sie im Rahmen der deutschen Quote zugeteilt worden wären. Als der Krieg im September 1939 begann, befanden sich die Juras noch immer ohne Ausreisevisum in Berlin und konnten daher nicht ausreisen.<br />
<br />
Nach Kriegsende versuchten diejenigen, denen wie Ruth die Flucht gelungen war, hoffnungsvoll, ihre Verwandten zu finden. Jede von Ruths Anfragen blieb erfolglos, bis sie schließlich über das Rote Kreuz erfuhr, dass sie umgekommen waren. Da sie es nicht übers Herz brachte, weiter nachzuforschen, ließ sie die Angelegenheit ruhen. Jahrzehnte später zeigte das Gedenkbuch, dass Selma und Hermann im Oktober 1942 nach Theresienstadt deportiert wurden, um drei Monate später, im Januar 1943, nach Auschwitz deportiert und dort ermordet zu werden.<br />

Hermann Judas wurde 1885 in Vandsburg, in der Nähe von Posen im damaligen Ostpreußen, geboren. Selma, seine Frau, geborene Joseph, wurde 1888 in Labishin, ebenfalls in der Nähe von Posen, geboren.
Die Familien Judas und Joseph zog es, wie viele andere zu dieser Zeit, nach Berlin. Der Umzug von Juden und Nicht-Juden in das etwa 150 Meilen entfernte Berlin war typisch für die damalige Zeit. Berlin war das preußische Zentrum einer großen Zuwanderung, als Industrie, Wirtschaft und Handel im späten neunzehnten und frühen zwanzigsten Jahrhundert expandierten. Kurz vor der Wende zum 20. Jahrhundert betrug die Einwohnerzahl Berlins fast 1,9 Millionen, von denen etwa 92.000 Juden waren, was fast fünf Prozent der Gesamtbevölkerung ausmachte. Die Familien Judas und Joseph, die noch in Posen lebten, gehörten zur deutschsprachigen Bevölkerung der Provinz und lebten mit ethnischen Polen zusammen, die die polnische Sprache und Kultur beibehielten. In dieser Zeit kamen viele Berliner Juden aus der Provinz Posen, nicht nur auf der Suche nach besseren wirtschaftlichen Möglichkeiten, sondern auch nach persönlicher Freiheit (sowohl in religiöser als auch in kultureller Hinsicht), größerer sozialer Akzeptanz und besseren Aufstiegschancen für sich und ihre Nachkommen. Während die jüdische Bevölkerung von Posen im Jahr 1871 noch 62.000 Einwohner zählte, war sie bis 1905 auf 30.000 gesunken.

Hermann und Selma lernten sich in Berlin kennen und heirateten im Jahr 1914. Ihr erstes Kind, Edith, wurde 1915 geboren. Sie kam jedoch bei der Grippeepidemie von 1918 ums Leben. Mit Ruths Geburt am 4. Dezember 1920 begann für die Familie eine Zeit des Glücks und des bescheidenen Wohlstands, trotz der kritischen wirtschaftlichen Situation der Nachkriegszeit in der Weimarer Republik. Ruths Großeltern mütterlicherseits waren relativ wohlhabend. Sie betrieben ein erfolgreiches Textilgeschäft, das Herren- und Knabenkleidung lieferte, die sie in ihrer großen Berliner Wohnung zuschneiden ließen und zur Weiterverarbeitung und zum Versand in die Näherei schickten. Auch die Verkaufsaktivitäten des Unternehmens fanden in der Wohnung statt. Das Unternehmen war so erfolgreich, dass die Familie Joseph es für angebracht hielt, ihren Schwiegersohn Hermann (Ruths Vater) in ein ähnliches Unternehmen einzubinden.

Die Zeit nach dem Ersten Weltkrieg war von heftigen politischen Unruhen geprägt, zu denen auch zahlreiche antisemitische Vorfälle gehörten. Im Jahr 1922 wurde der prominente jüdische Industrielle Walter Rathenau ermordet, als er Außenminister im Weimarer Kabinett war. Infolgedessen änderte Hermann 1923 den Familiennamen rechtlich von Judas in Juras. (Seine Brüder taten dasselbe.) Diese Entscheidung entsprang dem Wunsch, jeglichen Antisemitismus zu vermeiden, der sich gegen den eindeutig jüdischen Namen Judas richten könnte.

Die Familie Juras lebte in einem mehrheitlich jüdischen Viertel in Berlin in der Nähe des Alexanderplatzes. Zunächst wohnten sie bis 1931 oder 1932 in der Wadzeckstraße 9, danach zogen sie in eine größere Wohnung in der Hirtenstraße 21.

Während der Weimarer Zeit gelang es der Familie, einen komfortablen bürgerlichen Status zu bewahren. Dies zeigte sich unter anderem darin, dass sie es sich leisten konnten, eine Betreuerin für Ruth einzustellen. Elsa Dobrunz, eine junge nichtjüdische Frau von etwa 18 Jahren, wurde in das Haus der Familie aufgenommen, um im Haushalt zu helfen und sich um die etwa zehn Jahre jüngere Ruth zu kümmern.
Ruths Mutter Selma war eine moderne Frau, die im Familienbetrieb sehr aktiv geworden war, so dass eine Hilfe im Haushalt und bei der Beaufsichtigung von Ruth benötigt wurde. Elsa schlief im Arbeitszimmer der Wohnung, das tagsüber zum Zuschneiden von Stoffen genutzt wurde, aber ein Tagesbett hatte, das nachts geöffnet werden konnte. Ruth entwickelte eine enge Beziehung zu Elsa, die in gewisser Weise den Ersatz für die ältere Schwester darstellte, die Ruth nie hatte. Elsa brachte sie zur Schule und holte sie wieder ab, nahm sie mit zum Spielen in den Friedrichshainer Park und unternahm mit ihr andere Aktivitäten. Diese emotionale Bindung zu Elsa (seitens der ganzen Familie) war auch darauf zurückzuführen, dass Elsas Schwester Lotte in ähnlicher Weise von Ruths Onkel Benno und Tante Herta eingestellt worden war.

Nachdem Hitler 1933 Reichskanzler geworden war, wurde das Leben der Juden in Deutschland durch die Verschärfung der antijüdischen Politik und Gesetzgebung miserabel. Eine der ersten Maßnahmen der Nazis im Jahr 1933 war die Förderung eines wirtschaftlichen Boykotts gegen jüdische Unternehmen. Obwohl die deutsche Bevölkerung anfangs nicht mit überwältigender Mehrheit zustimmte, forderten die wiederholte Propaganda und der soziale Druck bald ihren Tribut, so dass selbst Deutsche ohne große Sympathie für den Nationalsozialismus unter starken Druck gerieten, jüdische Geschäfte zu meiden. Diese Politik wirkte sich katastrophal auf das Bekleidungsgeschäft der Familie aus und zwang Hermann, es 1935 aufzugeben. Die Einkommensverluste und der völlige Verlust der Existenzgrundlage waren ein schwerer Schlag für die Familie, deren materieller Wohlstand sich in den folgenden Jahren weiter verschlechterte. Nachdem Ruths Vater Hermann das Geschäft geschlossen hatte, arbeitete er später in einem örtlichen jüdischen Krankenhaus in der Iranischen Straße 1 (heute Heinz-Galinski-Straße 1). Obwohl die Arbeit nicht sehr gut bezahlt wurde, konnte Hermann Lebensmittel aus dem Kommissariat mit nach Hause nehmen, was der Familie half.

Der Wirtschaftsboykott war nicht die einzige diskriminierende und strafende Maßnahme der Nazis. Insgesamt erließ das Regime 1933-1945 über 400 Maßnahmen. Sie zielten darauf ab, den Juden die bürgerlichen Rechte zu entziehen (die Staatsbürgerschaft wurde ihnen de facto aberkannt), sie an der Teilnahme an der deutschen Gesellschaft zu hindern, sie aus der Wirtschaft und dem gesellschaftlichen Leben auszuschließen, sie zu demütigen und zum Objekt des Spotts der deutschen Bevölkerung zu machen und sie schließlich vollständig zu vernichten.

Hermann glaubte jedoch, dass sein Status als Kriegsveteran des Ersten Weltkriegs ihn und seine Familie vor den schlimmsten Auswüchsen des Regimes schützen würde. Eine Auswanderung in ihrem Alter (Hermann und Selma waren 1936 51 und 48 Jahre alt) war angesichts ihrer wirtschaftlichen Lage und ihrer Unfähigkeit, eine andere Sprache als Deutsch zu sprechen, für sie unvorstellbar.

Im Sommer 1938, als sich die internationale und innenpolitische Lage weiter verschlechterte, wurde Hermann und Selma jedoch klar, dass sie sich auf eine mögliche Auswanderung vorbereiten sollten. Sie beauftragten einen entfernten Verwandten in Indianapolis, Indiana, mit der Beschaffung der notwendigen Papiere für die Auswanderung in die USA. Nachdem Selma und Hermann die eidesstattlichen Erklärungen erhalten hatten, legten sie die Papiere jedoch für eine spätere Verwendung beiseite und beantragten nicht sofort ein Visum bei der US-Regierung.

Nach den schrecklichen Ereignissen der Kristallnacht im November 1938 beschlossen Hermann und Selma schließlich, ein Visum für die USA zu beantragen. Zu diesem Zeitpunkt wurden die US-Konsularbüros jedoch mit solchen Anträgen überschwemmt, so bedrohlich war die Situation plötzlich geworden. Obwohl sie geeignete eidesstattliche Erklärungen vorlegen konnten, mussten sie sich aufgrund der damals geltenden restriktiven US-Einwanderungsquoten um die verfügbaren Plätze bewerben. Diese Quoten basierten auf dem Herkunftsland der Antragsteller, wobei das Herkunftsland durch den Geburtsort und die aktuelle nationale Zugehörigkeit dieses Ortes definiert wurde. Hermann und Selma, die in der Nähe von Poznań (das 1938 zu Polen gehörte) geboren wurden, erhielten einen Platz auf der Warteliste auf der Grundlage der polnischen Quote, die damals mit einer hoffnungslos langen Wartezeit verbunden war, die viel länger war, als wenn sie im Rahmen der deutschen Quote zugeteilt worden wären. Als der Krieg im September 1939 begann, befanden sich die Juras noch immer ohne Ausreisevisum in Berlin und konnten daher nicht ausreisen.

Nach Kriegsende versuchten diejenigen, denen wie Ruth die Flucht gelungen war, hoffnungsvoll, ihre Verwandten zu finden. Jede von Ruths Anfragen blieb erfolglos, bis sie schließlich über das Rote Kreuz erfuhr, dass sie umgekommen waren. Da sie es nicht übers Herz brachte, weiter nachzuforschen, ließ sie die Angelegenheit ruhen. Jahrzehnte später zeigte das Gedenkbuch, dass Selma und Hermann im Oktober 1942 nach Theresienstadt deportiert wurden, um drei Monate später, im Januar 1943, nach Auschwitz deportiert und dort ermordet zu werden.