Charles Leon

Verlegeort
Kaiserdamm 103/104
Bezirk/Ortsteil
Charlottenburg
Verlegedatum
15. November 2023
Geboren
26. März 1871 in Hannover
Deportation
am 03. Oktober 1942 nach Theresienstadt
Später deportiert
am 28. Oktober 1944 nach Auschwitz
Ermordet
30. Oktober 1944 in Auschwitz

Charles Leon wird am 26. März 1871 in Hannover geboren. Über sein Leben in Hannover und seine späteren Anfänge in Berlin ist nichts bekannt.

Ab 1913 ist Charles in Charlottenburg in der Joachimsthalerstraße 43-49 gemeldet.

Von 1928 bis 1938 ist sein Name als Sachverständiger für Futterstoffe in Berlin-Mitte, Molkenmarkt 11 in den Berliner Adressbüchern verzeichnet.

Charles ist Teilhaber und Mitdirektor der Firma M. Hiller Nachfolger am Molkenmarkt 11. Die Firma wurde 1842 gegründet und stellt Futterstoffe für die Herrenkonfektion her. Ihr Betriebssitz befindet sich in der Großen Frankfurter Straße 27/28.

1938 wird die Firma M. Hiller Nachfolger arisiert und an neue Firmeninhaber übergeben. Damit wird Charles seine Existenzgrundlage genommen.

Schon Mitte/Ende der 30ger Jahren hat der Junggeselle Charles Bekanntschaft mit der Witwe Margarete Türk gemacht. Mitte Mai 1939 beziehen Margarete und er eine Wohnung am Kaiserdamm 103/104, die für beide der letzte freiwillig gewählte Wohnort ist.

Charles ist im jüdischen Gemeindeleben der Synagoge in der Joachimsthaler Straße aktiv. Margarete begleitet ihn häufig in die Synagoge.

Nachdem Margaretes Sohn Hans 1940 nach Afghanistan emigriert war, planen er und Margarete ebenfalls die Auswanderung zu Hans nach Kabul und von dort aus weiter nach Australien zu Verwandten.

Auch um eine größere Sicherheit zu haben zukünftig nicht getrennt zu werden, planen beide zu heiraten.

Am 4. März 1941 ist es soweit: nach der standesamtlichen Trauung mit zwei Trauzeugen aus der Familie findet in der Wohnung der beiden eine feierliche religiöse Trauung statt. Anschließend werden alle zu Tisch geladen, die Trauzeugen, beide Juristen, halten wunderschöne, zu Herzen gehende Ansprachen. Die Zahl der Glückwünsche und Blumengrüße ist sehr groß.

Charles beschreibt die Eheschließung in einem Brief an Stiefsohn Hans: „Lieber Hans! Deine letzten Worte bei unserem damaligen Abschied lauteten Meine Mutter lege ich Ihnen ans Herz - ich habe Deinen Wunsch nun erfüllt.“ Er zeichnet humorvoll mit „Dein Stief“.

Am 26. März 1941 steht das nächste Familienereignis bei den Leons an: Charles 70. Geburtstag wird gefeiert. Er empfängt 80 Gratulanten im Kaiserdamm, erhält über 100 Glückwunschbriefe, Geschenke und viele Blumengrüße. In sechs Reden wird er - seiner Ansicht nach - über Gebühr gefeiert. Unter anderem erscheint die Oberin des Säuglingsheims in Niederschönhausen, dessen Mitbegründer Charles ist, mit zwei Kindern und einer Torte, die die Kinder ihm mit einem reizenden Gedicht überreichen. Der Tag verlief wunderschön.

Am darauffolgenden Samstag wird Charles auch in der Synagoge gefeiert: unter Orgelklang wird er feierlich in den Gottesdienst eingeführt und darf auf einem geschmückten Sessel Platz nehmen. Der Rabbiner hält eine Ansprache, der Oberkantor spricht den Segen auch für die „junge Frau“ an Charles‘ Seite. Es war für alle ein wundervolles und feierliches Ereignis.

1941 kommt die Auswanderung immer noch nicht voran, auch im Folgejahr erhalten sie keine Genehmigungen.

Ende September 1942 muss Charles, wie Margarete auch, die „Vermögenserklärung“ ausfüllen, ein Formular, das den Finanzbehörden erleichtern soll, den Besitz von Menschen, die zur Deportation bestimmt sind, zu enteignen. Dazu zählen Barguthaben, Reichsschatzanweisungen, Gold, Silber, Schmuck und Mobiliar. Mit dem sog. Heimeinkaufsvertrag soll angeblich in Theresienstadt ein Heimplatz für einen ruhigen und umsorgten Lebensabend finanziert werden. Der blanke Hohn,  wenn man die unmenschlichen Lebensbedingungen im Ghetto Theresienstadt bedenkt.

Am 1. Oktober 1942 wird Charles‘ Vermögen tatsächlich zugunsten des Deutschen Reiches eingezogen, was ihm am 2. Oktober per Zustellungsurkunde mitgeteilt wird. Da sind Charles und Margarete schon gezwungen worden, sich in das Sammellager Große Hamburger Straße zu begeben.

Von da werden sie am 3. Oktober 1942 mit Lastwagen zum Bahnhof Berlin-Moabit gebracht zur Deportation in das Altersghetto Theresienstadt. Erst am Abend fährt der Zug ab und kommt einen Tag später in Theresienstadt an. Es ist der dritte „große Alterstransport“ aus Berlin, er umfasst über 1000 Menschen. Das Durchschnittalter der Deportierten beträgt 67 Jahre. Sie dürfen nur einen Koffer mit wenig Kleidung, Bettzeug, Essbesteck und Verpflegung mitnehmen und höchstens 50 RM Bargeld. Charles und Margarete werden zwei Jahre im Ghetto verbringen müssen.

Am 6. Mai 1943 wird Charles‘ und Margaretes Wohnung am Kaiserdamm 103/104 geräumt. Das ganze verbliebene Inventar wird von der Oberfinanzdirektion eingezogen.

Am 26. Oktober 1944 erhalten sie im Ghetto Theresienstadt eine Transportaufforderung, die ihnen vorschreibt, sich in der Nacht in der Abgangshalle einzufinden. Es wird nur wenig Gepäck erlaubt.

Zwei Tage später, am 28. Oktober 1944, verlässt Transport Ev mit über 2000 Menschen das Ghetto. Auf der grauenhaften Fahrt ins Ungewisse ohne Luft, Wasser und Licht in den völlig überfüllten Güterwagen sterben schon viele Menschen vor der Ankunft. Es ist der letzte Transport, der von Theresienstadt nach Auschwitz-Birkenau fährt.

Nach der Ankunft in Auschwitz am 30. Oktober 1944 werden Männer und Frauen getrennt und einige wenige als „arbeitsfähig“ durch den Lagerarzt selektiert. Alle anderen Juden, 1689 Männer, Frauen und Kinder, werden  zu den Gaskammern geführt und dort ermordet.

Am 31. Oktober 1944 werden auch Charles und Margarete in Auschwitz ermordet.

Charles stirbt im Alter von 73 Jahren.