Dr. Hans Leopold Türk

Verlegeort
Kaiserdamm 103/104
Bezirk/Ortsteil
Charlottenburg
Verlegedatum
15. November 2023
Geboren
02. Dezember 1883 in Berlin
Beruf
Rechtsanwalt
Flucht
1940 Afghanistan
Verhaftet
24. Februar 1939 bis 17. Juli 1939 in Berlin
Verhaftet
19. Juli 1939 bis 31. Juli 1939 in KZ Hamburg-Fuhlsbüttel
Überlebt

Hans Leopold Türk wird am 2. Dezember 1904 als Sohn von Margarete geb. Katz und Dr. Siegmund Türk in Berlin geboren. Schon bald nach seiner Geburt lassen ihn seine Eltern protestantisch taufen, sie selbst sind jüdischen Glaubens.

Von 1910 bis 1922 besucht Hans das Staatliche Kaiserin-Auguste-Gymnasium in Charlottenburg und legt im März 1922 die Abiturprüfung ab. Anschließend studiert er bis 1925 an den Universitäten Berlin und Rostock Jura und Nationalökonomie. Am 1. November 1922 stirbt sein Vater, dennoch ist es der Familie wirtschaftlich möglich, dass er seine Ausbildung weiter verfolgen kann.

Im Juni 1925 besteht er in Berlin die erste juristische Staatsprüfung, im Dezember 1926 an der Universität Greifswald die juristische Doktor-Prüfung. Nach seinem Referendariat legte er im Februar 1929 in Berlin die zweite juristische Staatsprüfung ab und wird zum Gerichtsassessor ernannt.

Er wohnt in Charlottenburg, Berliner Straße 158 (heute Otto-Suhr-Allee).

Als Gerichtsassessor arbeitet er einige Monate bei Berliner Zivil- und Strafgerichten, auch als Richter, und anschließend bei mehreren Berliner Anwälten. Im Herbst 1930 lässt er sich als Rechtsanwalt am Berliner Kammergericht nieder und betreibt seine eigene Anwaltspraxis.

Nach der nationalsozialistischen Machtergreifung wird er im Juni 1933 wegen jüdischer Abstammung aus der Anwaltschaft ausgeschlossen, was den Verlust seiner Existenzgrundlage bedeutet. In den Folgejahren kann er noch als „Hilfsarbeiter“ für jüdische Rechtsanwälte fungieren, später ist er als Grundstücksmakler tätig.

Im Jahr 1936 heiratet er die Jugoslawin Aurelia Kuzman. Mutter Margarete ist von seiner Wahl überhaupt nicht begeistert. Das Ehepaar zieht nach Wilmersdorf in die Kantstr. 18. Ihr Glück hält nicht lange an, schon 1938 reicht Aurelia die Scheidung ein, die im Mai 1940 rechtskräftig wird. Die Ehe ist kinderlos.

Durch die Verschärfungen der Gesetzgebung hat Hans seit 1938 überhaupt keine Betätigungsmöglichkeit mehr in Deutschland. Zudem gerät er am 24. Februar 1939 in Untersuchungshaft „wg.(wegen) Beihilfe z.(zur) Rassenschande, schw.(schwerer) Kuppelei“. Offenbar ist es nicht zu einem Gerichtsverfahren gekommen, da er am 17. Juli 1939 aus der U-Haft wieder in den Kaiserdamm 103/104, der Wohnung seiner Mutter, entlassen wird. Am 19. Juli jedoch wird er vom 23. Kriminalkommissariat der Hamburger Polizei, das u.a. für „Rassenschande“ zuständig war, im KZ Hamburg-Fuhlsbüttel inhaftiert. Dort wird er zwei Wochen später am 31. Juli 1939 entlassen - ein Zeichen, dass die Anklage offenbar gegenstandslos war.

Nun betreibt er aktiv seine Auswanderung. 1940 folgt er einer Einladung des afghanischen Wirtschaftsministeriums, um als Ratgeber in Rechts- und Wirtschaftsangelegenheiten in Kabul zu arbeiten.

Am 15. Juni 1940 unternimmt er mit einer kleinen Gruppe die gefährliche Reise auf dem Landweg über Moskau durch Russland nach Kabul, teilweise auf dem Pferd. Seine Habe in 2 Koffern und 3 Kisten Umzugsgut wird ihm später nach Kabul nachgeschickt.

Nach einigen Jahren wechselt er in die juristische Fakultät der Universität Kabul als Professor für modernes Zivilrecht und internationales Privatrecht, daneben berät er weiterhin öffentliche Regierungsstellen in juristischen und wirtschaftlichen Fragen und erstellt Gutachten.

In diesen Funktionen wird er 11 Jahre lang bis 1951 arbeiten.

1941 wird Hans aus Deutschland ausgebürgert und wird staatenlos. Er erhält 1942 einen Flüchtlingspass, ausgestellt vom afghanischen Außenministerium, der von Jahr zu Jahr erneuert wird.

In Kabul pflegt Hans ein gesellschaftliches Leben, so wie er es aus dem Haus seiner Mutter gewohnt war. Er gibt Gesellschaften, hat seine Bridge-Runde, macht Reisen in die Region. Zudem perfektioniert er seine Sprachkenntnisse: neben Englisch, Französisch und Italienisch spricht er Russisch und lernt Persisch. Er beherrscht die Sprachen in Wort und Schrift und ist Mitverfasser eines per Matrize vervielfältigten Wörterbuchs Deutsch-Persisch mit Persisch in lateinischer Umschrift!

Hans steht in regem Briefkontakt mit seiner Mutter, die ihn über die Geschehnisse zuhause auf dem Laufenden hält. In nur einem Jahr (1940-41) z.B. antwortet er ihr in über 40 Briefen und schickt regelmäßig Pakete - von der Mutter zärtlich „Liebesgaben“ genannt - mit dem Nötigsten in das kriegsgeschüttelte Berlin in den Kaiserdamm und zur Verwandtschaft: Tee, Kaffee, Schokolade, Butter, Hygieneartikel etc.

Trotz all seiner Bemühungen bei den afghanischen Behörden gelingt es nicht, seine Mutter und den Stiefvater nach Afghanistan zu holen und vor der Verfolgung zu schützen. Erst bei Kriegsende erfährt er von Überlebenden des Ghettos Theresienstadt von der Deportation seiner Mutter und des Stiefvaters in das Ghetto und deren Deportation in das Vernichtungslager Auschwitz zwei Jahre später.

Drei Jahre nach Kriegsende unternimmt er im Frühjahr 1948 eine Europareise und hält sich in der Schweiz auf. Er ist auf der Suche nach einer beruflichen Stellung, wo er seine juristischen und volkswirtschaftlichen Kenntnisse bei seiner möglichen Rückkehr einbringen kann, z.B. bei der UNO. Dazu gibt er seinen Antrag bei der IRO, der International Refugee Organization, in Genf ab. Auf dieser Reise trifft er seine Schwester Brigitte nach über acht Jahren wieder. Sie steht vor ihrer Auswanderung in die USA.

1949 geht Hans eine zweite Ehe mit Erika Draeger (geb. 1914) ein, einer Zahnärztin. Gemeinsame Bekannte in Berlin hatten einen Briefkontakt zwischen den beiden ermöglicht. 1948 macht sich Erika auf den Weg nach Pakistan, wo Hans sie in Karatschi trifft. Erika und Hans heiraten am 24. Februar 1949 in Pakistan, anschließend gehen sie nach Kabul. Erika arbeitet dort in einer deutschen Schule, er ist weiterhin an der Universität angestellt. Die Ehe bleibt kinderlos.

Im März 1951 kehrt Hans nach fast 11 Jahren in Afghanistan aus der Emigration gemeinsam mit seiner Frau nach Deutschland zurück. Zuerst arbeitet er für zwei Jahre als Referent beim Entschädigungsamt in Berlin, danach übernimmt er eine Anwaltspraxis in Traben-Trarbach.

Im September 1954 erhält er die deutsche Staatsbürgerschaft zurück. Er lässt sich in Köln mit eigener Kanzlei nieder, das Ehepaar wohnt in Bensberg. Seinen 60. Geburtstag am 2. Dezember 1964 feiert Hans großzügig mit Familie und Freunden in einem Restaurant in Köln. In der Familie spricht Hans nie über seine Verfolgung oder die seiner Mutter und des Stiefvaters.

Ein Jahr später, Anfang Januar 1965, wird er mit einer Venenentzündung in ein Krankenhaus in Köln eingeliefert. Am 17. Januar 1965 stirbt er im Krankenhaus an einem Sonntagmorgen an den Folgen einer Lungenembolie.

Hans wird 61 Jahre alt.