Marie Johanna Schendel geb. Sander

Verlegeort
Poststraße 12
Bezirk/Ortsteil
Mitte
Verlegedatum
20. September 2013
Geboren
09. Oktober 1898 in Augsburg
Deportation
am 03. März 1943 nach Auschwitz
Ermordet
in Auschwitz

Marie Johanna Sander wurde am 9. Oktober 1898 in Augsburg in Bayern geboren. Sie war die Tochter von Alfred Sander (1858–1939) und seiner Frau Emma, geb. Kahn (1864–1933), einer Fabrikantenfamilie aus Augsburg. Ihr Vater war Teilhaber der „Kahn und Sander Uhrfedernfabrik“ am Vogelthorplatz 1 (heutiger Willy-Brandt-Platz) in der Augsburger Innenstadt. Die Wohnung der Familie lag in der Kaiserstraße 51 (heutige Konrad-Adenauer-Allee) und ab 1913 in der Völkstraße 25. Marie Johanna Sander hatte mindestens zwei ältere Geschwister: Ihr Bruder Emil war 1887 in Augsburg zur Welt gekommen, ihre Schwester Lilli Babette Sander im Jahr 1892. Über das Elternhaus, die Kindheit und Jugend von Marie Johanna und ihren Geschwistern in Augsburg der Kaiserzeit haben sich keine weiteren Quellen erhalten. Ihre Eltern gehörten aber aller Wahrscheinlichkeit nach zur jüdischen Gemeinde der Stadt.<br />
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Nach ihrem Schulabschluss absolvierte Marie Johanna Sander eine Ausbildung als Bibliothekarin und war in Augsburg in den 1920er-Jahren für einige Jahre in diesem Beruf tätig. Am 6. Juni 1928 heiratete sie in Augsburg den 13 Jahre älteren Kaufmann Heimann Schendel, Hugo genannt, geboren am 3. September 1885 in Schivelbein (Świdwin). Ihr Mann war Inhaber des „Manufaktur-, Modewaren- und Konfektionsgeschäfts L. D. Steiner“ im mittelfränkischen Ansbach, wohin Marie Johanna Schendel nach der Hochzeit verzog. Das Kaufhaus „L. D. Steiner“ war damals eines der führenden Warenhäuser Ansbachs und beschäftigte etwa 20 Angestellte. Die Wohnung der Schendels lag in der Brauhausstraße 30. Am 20. April 1931 wurde ihre Tochter Eva Jenny Schendel in Ansbach geboren. Leider haben sich keine weiteren Informationen erhalten, die einen Einblick in das Leben der Familie in der Zeit der Weimarer Republik geben könnten.<br />
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Mit der schrittweisen Entrechtung und Verfolgung von Juden seit 1933 – beziehungsweise aller Personen, die nach den Nürnberger Gesetzen im NS-Staat als Juden galten – begannen auch staatliche Zwangsmaßnahmen gegen Marie Johanna Schendel und ihre Familie. Darunter fielen zahlreiche Maßnahmen der Diskriminierung und sozialen Ausgrenzung, des Entzugs staatsbürgerlicher Rechte sowie der Verdrängung aus dem Berufs- und Wirtschaftsleben. Marie Johannas Tochter Eva Jenny schrieb später zur Situation der Familie – auch gestützt auf Informationen ihres Onkels Emil Sander, der sich mit Frau und Kind in den 1930er-Jahren in die USA retten konnte: „Mein Vater musste das Geschaeft in Ansbach 1934/35 unter dem Druck der rassischen Verfolgung verkaufen. Wir verzogen nach Berlin, wo wir in Berlin, C. 2, Poststrasse 12 wohnten und wo mein Vater in den folgenden Jahren unter der Firma ‚Hugo Schendel‘ einen Engrosvertrieb von Textilien hatte. Ich bin das einzige Kind aus der Ehe meiner Eltern und kam am 3.3.1939 mit einem Transport juedischer Kinder nach England. Ich war damals noch nicht 8 Jahre alt.“<br />
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Seit 1933 waren die Schendels als Geschäftsinhaber ein exponiertes Ziel für antisemitische Kampagnen, Boykotte und Ausschreitungen in Ansbach gewesen. Mitte der 1930er-Jahre sahen sie sich nicht mehr in der Lage, das Kaufhaus zu halten, und waren gezwungen, es unter Wert zu verkaufen. Mit ihrer Tochter zogen sie nach Berlin – wohl in der Hoffnung, in der Anonymität der Hauptstadt besser vor unmittelbaren Bedrohungen geschützt zu sein. Die Familie kam in Berlin 1935 zunächst in einer Wohnung in der Rosenheimer Straße 23 nahe dem Bayerischen Platz in Schöneberg unter. Im Jahr 1937 zogen die Schendels an die Adresse Poststraße 12 unweit des Spreeufers im Nikolaiviertel und unterhielten an dieser Adresse auch das Bekleidungsgeschäft „kunstseidene Wäsche und Trikotagen-Großhandlung Hugo Schendel“, mit dem sie ihren Unterhalt finanzierten. Eva Jenny Schendel besuchte ab Ostern 1937 die Mädchen-Volksschule der Jüdischen Gemeinde in der Auguststraße 11–13, bis die damals noch Siebenjährige am 3. März 1939 mit einem Kindertransport nach England gerettet werden konnte. Ihren Eltern sollte die Flucht aus Deutschland nicht mehr gelingen. Spätestens Anfang der 1940er-Jahre war das Leben für sie zum Existenzkampf geworden. Um nur eine der vielen einschneidenden Maßnahmen zu nennen, konnten sie sich mit der Polizeiverordnung vom 1. September 1941 „über die Kennzeichnung der Juden“ nur noch mit stigmatisierendem „Judenstern“ in der Öffentlichkeit bewegen. Marie Johannas Ehemann musste zudem seit Anfang der 1940er-Jahre Zwangsarbeit als Arbeiter in den Deutschen Tachometerwerken (Deuta-Werke) in der Oranienstraße 25 in Kreuzberg leisten. Vermutlich wurde auch Marie Johanna zu Zwangsarbeit verpflichtet, aber dazu haben sich keine näheren Informationen erhalten.<br />
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Der Entrechtung folgte die Deportation: Am 1. Oktober 1941 hatte die Gestapo die Jüdische Gemeinde Berlin informiert, dass die „Umsiedlung“ der Berliner Juden beginnen würde. Marie Johanna Schendel und ihr Ehemann wurden im Zuge der „Fabrik-Aktion“, bei der die letzten offiziell in der Hauptstadt verbliebenen Juden deportiert werden sollten, Ende Februar 1943 in Berlin verhaftet und in eines der Berliner Sammellager verschleppt. Von dort wurden sie am 3. März 1943 mit dem „33. Osttransport“ in das Vernichtungslager Auschwitz deportiert und dort – vermutlich unmittelbar nach ihrer Ankunft – ermordet.<br />
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Ihre Tochter überlebte die NS-Verfolgung im Exil in England. Dem ehemaligen Weddinger Stadtrat Carl Fabiunke (1888–1978) gelang es noch, ihr 1939 bei einem Besuch in England, persönliche Dinge aus dem Besitz ihrer Eltern aus Berlin zu übergeben. Eva Jenny Schendel wurde später Lehrerin und heiratete den Rabbiner Raphael Margulies. Marie Johannas Bruder Emil Sander überlebte mit seiner Ehefrau Lili, geb. Reis, und der 1924 in Würzburg geborenen Tochter Margaret die NS-Verfolgung im Exil in den USA. Ihre Schwester Lilli Babette Schloss (*1892) flüchtete mit ihrem Ehemann Hermann (*1884) und ihrem Sohn Hans Werner (*1921) vor der drohenden Deportation nach Italien, wo sie am 30. November 1943 in der norditalienischen Stadt Fiesso Umbertiano verhaftet wurden. Über das Internierungslager Ferramonti di Tarsia und das Durchgangslager Fossoli wurden sie im Juni 1944 nach Auschwitz deportiert, wo Lilli Babette und Hermann Schloss unmittelbar nach der Ankunft ermordet wurden. Hans Werner Schloss überlebte sechs Monate Lagerhaft in Auschwitz. Im Januar 1945 wurde er weiter nach Mauthausen deportiert und dort am 22. Februar 1945 hingerichtet.

Marie Johanna Sander wurde am 9. Oktober 1898 in Augsburg in Bayern geboren. Sie war die Tochter von Alfred Sander (1858–1939) und seiner Frau Emma, geb. Kahn (1864–1933), einer Fabrikantenfamilie aus Augsburg. Ihr Vater war Teilhaber der „Kahn und Sander Uhrfedernfabrik“ am Vogelthorplatz 1 (heutiger Willy-Brandt-Platz) in der Augsburger Innenstadt. Die Wohnung der Familie lag in der Kaiserstraße 51 (heutige Konrad-Adenauer-Allee) und ab 1913 in der Völkstraße 25. Marie Johanna Sander hatte mindestens zwei ältere Geschwister: Ihr Bruder Emil war 1887 in Augsburg zur Welt gekommen, ihre Schwester Lilli Babette Sander im Jahr 1892. Über das Elternhaus, die Kindheit und Jugend von Marie Johanna und ihren Geschwistern in Augsburg der Kaiserzeit haben sich keine weiteren Quellen erhalten. Ihre Eltern gehörten aber aller Wahrscheinlichkeit nach zur jüdischen Gemeinde der Stadt.

Nach ihrem Schulabschluss absolvierte Marie Johanna Sander eine Ausbildung als Bibliothekarin und war in Augsburg in den 1920er-Jahren für einige Jahre in diesem Beruf tätig. Am 6. Juni 1928 heiratete sie in Augsburg den 13 Jahre älteren Kaufmann Heimann Schendel, Hugo genannt, geboren am 3. September 1885 in Schivelbein (Świdwin). Ihr Mann war Inhaber des „Manufaktur-, Modewaren- und Konfektionsgeschäfts L. D. Steiner“ im mittelfränkischen Ansbach, wohin Marie Johanna Schendel nach der Hochzeit verzog. Das Kaufhaus „L. D. Steiner“ war damals eines der führenden Warenhäuser Ansbachs und beschäftigte etwa 20 Angestellte. Die Wohnung der Schendels lag in der Brauhausstraße 30. Am 20. April 1931 wurde ihre Tochter Eva Jenny Schendel in Ansbach geboren. Leider haben sich keine weiteren Informationen erhalten, die einen Einblick in das Leben der Familie in der Zeit der Weimarer Republik geben könnten.

Mit der schrittweisen Entrechtung und Verfolgung von Juden seit 1933 – beziehungsweise aller Personen, die nach den Nürnberger Gesetzen im NS-Staat als Juden galten – begannen auch staatliche Zwangsmaßnahmen gegen Marie Johanna Schendel und ihre Familie. Darunter fielen zahlreiche Maßnahmen der Diskriminierung und sozialen Ausgrenzung, des Entzugs staatsbürgerlicher Rechte sowie der Verdrängung aus dem Berufs- und Wirtschaftsleben. Marie Johannas Tochter Eva Jenny schrieb später zur Situation der Familie – auch gestützt auf Informationen ihres Onkels Emil Sander, der sich mit Frau und Kind in den 1930er-Jahren in die USA retten konnte: „Mein Vater musste das Geschaeft in Ansbach 1934/35 unter dem Druck der rassischen Verfolgung verkaufen. Wir verzogen nach Berlin, wo wir in Berlin, C. 2, Poststrasse 12 wohnten und wo mein Vater in den folgenden Jahren unter der Firma ‚Hugo Schendel‘ einen Engrosvertrieb von Textilien hatte. Ich bin das einzige Kind aus der Ehe meiner Eltern und kam am 3.3.1939 mit einem Transport juedischer Kinder nach England. Ich war damals noch nicht 8 Jahre alt.“

Seit 1933 waren die Schendels als Geschäftsinhaber ein exponiertes Ziel für antisemitische Kampagnen, Boykotte und Ausschreitungen in Ansbach gewesen. Mitte der 1930er-Jahre sahen sie sich nicht mehr in der Lage, das Kaufhaus zu halten, und waren gezwungen, es unter Wert zu verkaufen. Mit ihrer Tochter zogen sie nach Berlin – wohl in der Hoffnung, in der Anonymität der Hauptstadt besser vor unmittelbaren Bedrohungen geschützt zu sein. Die Familie kam in Berlin 1935 zunächst in einer Wohnung in der Rosenheimer Straße 23 nahe dem Bayerischen Platz in Schöneberg unter. Im Jahr 1937 zogen die Schendels an die Adresse Poststraße 12 unweit des Spreeufers im Nikolaiviertel und unterhielten an dieser Adresse auch das Bekleidungsgeschäft „kunstseidene Wäsche und Trikotagen-Großhandlung Hugo Schendel“, mit dem sie ihren Unterhalt finanzierten. Eva Jenny Schendel besuchte ab Ostern 1937 die Mädchen-Volksschule der Jüdischen Gemeinde in der Auguststraße 11–13, bis die damals noch Siebenjährige am 3. März 1939 mit einem Kindertransport nach England gerettet werden konnte. Ihren Eltern sollte die Flucht aus Deutschland nicht mehr gelingen. Spätestens Anfang der 1940er-Jahre war das Leben für sie zum Existenzkampf geworden. Um nur eine der vielen einschneidenden Maßnahmen zu nennen, konnten sie sich mit der Polizeiverordnung vom 1. September 1941 „über die Kennzeichnung der Juden“ nur noch mit stigmatisierendem „Judenstern“ in der Öffentlichkeit bewegen. Marie Johannas Ehemann musste zudem seit Anfang der 1940er-Jahre Zwangsarbeit als Arbeiter in den Deutschen Tachometerwerken (Deuta-Werke) in der Oranienstraße 25 in Kreuzberg leisten. Vermutlich wurde auch Marie Johanna zu Zwangsarbeit verpflichtet, aber dazu haben sich keine näheren Informationen erhalten.

Der Entrechtung folgte die Deportation: Am 1. Oktober 1941 hatte die Gestapo die Jüdische Gemeinde Berlin informiert, dass die „Umsiedlung“ der Berliner Juden beginnen würde. Marie Johanna Schendel und ihr Ehemann wurden im Zuge der „Fabrik-Aktion“, bei der die letzten offiziell in der Hauptstadt verbliebenen Juden deportiert werden sollten, Ende Februar 1943 in Berlin verhaftet und in eines der Berliner Sammellager verschleppt. Von dort wurden sie am 3. März 1943 mit dem „33. Osttransport“ in das Vernichtungslager Auschwitz deportiert und dort – vermutlich unmittelbar nach ihrer Ankunft – ermordet.

Ihre Tochter überlebte die NS-Verfolgung im Exil in England. Dem ehemaligen Weddinger Stadtrat Carl Fabiunke (1888–1978) gelang es noch, ihr 1939 bei einem Besuch in England, persönliche Dinge aus dem Besitz ihrer Eltern aus Berlin zu übergeben. Eva Jenny Schendel wurde später Lehrerin und heiratete den Rabbiner Raphael Margulies. Marie Johannas Bruder Emil Sander überlebte mit seiner Ehefrau Lili, geb. Reis, und der 1924 in Würzburg geborenen Tochter Margaret die NS-Verfolgung im Exil in den USA. Ihre Schwester Lilli Babette Schloss (*1892) flüchtete mit ihrem Ehemann Hermann (*1884) und ihrem Sohn Hans Werner (*1921) vor der drohenden Deportation nach Italien, wo sie am 30. November 1943 in der norditalienischen Stadt Fiesso Umbertiano verhaftet wurden. Über das Internierungslager Ferramonti di Tarsia und das Durchgangslager Fossoli wurden sie im Juni 1944 nach Auschwitz deportiert, wo Lilli Babette und Hermann Schloss unmittelbar nach der Ankunft ermordet wurden. Hans Werner Schloss überlebte sechs Monate Lagerhaft in Auschwitz. Im Januar 1945 wurde er weiter nach Mauthausen deportiert und dort am 22. Februar 1945 hingerichtet.