Richard Gattel

Verlegeort
Prinzenallee 58
Bezirk/Ortsteil
Gesundbrunnen
Verlegedatum
September 2006
Geboren
03. Juni 1870 in Berlin
Beruf
Kaufmann
Deportation
am 11. September 1942 nach Theresienstadt
Ermordet
29. Januar 1943 im Ghetto Theresienstadt
Richard Gattel wurde am 3. Juni 1870 in Berlin als Sohn einer alteingesessenen jüdischen Familie geboren. Seine Mutter Bertha, geb. Sternberg, kam um 1845 in Spandau zur Welt. Der Vater Borchard Gattel betrieb eine Fabrik für Herrenmützen und -hüte, die er Ende der 1860er Jahre zusammen mit seinen Brüdern Moritz und Leo gegründet hatte. Richard Gattel hatte einen Bruder, Max, und drei Schwestern, Claire, Ella und Lucy. Er besuchte die Realschule, die er mit der Mittleren Reife verließ. Anschließend machte er eine dreijährige kaufmännische Lehre. Wie auch sein jüngerer Bruder Max trat er in den Betrieb seines Vaters ein, der sich damals in der Neuen Königstraße 31 (heute Otto-Braun-Straße) befand.

Zwischen 1889 und 1891 ließ Familie Gattel im Wedding auf dem Grundstück Prinzenallee 58 ein viergeschossiges Fabrikgebäude bauen. Das im Patrizierstil errichtete Vorderhaus diente als Wohnhaus der Familie, im Seitenflügel befanden sich Arbeiterwohnungen. Auch das Wohnhaus in der Prinzenallee 57 gehörte zum Familienbesitz, der außerdem einen an das Fabrikgelände anschließenden, bis zur Panke reichenden Garten umfasste. Am 4. September 1891 wurde die Wollfilzfabrik Gebrüder Gattel in der Prinzenallee in Betrieb genommen. Bis zu 175 Beschäftigte stellten dort in den folgenden vier Jahrzehnten Herrenhüte her. Ein Werbeslogan der bekannten Marke Gattel lautete „Ihr Hut ist eine Nummer zu klein!“

Im Alter von 25 Jahren wurde Richard Gattel für ein Jahr nach Philadelphia geschickt, wo er eine zusätzliche Ausbildung in Wollfilzfärberei erhielt. Am 2. Juni 1906, einen Tag vor seinem 36. Geburtstag, heiratete er die vierzehn Jahre jüngere Ella Pinthus. Die Ehe wurde in Halle an der Saale geschlossen, der Heimatstadt seiner Frau. Als 1908 sein Onkel Moritz starb, wurde Richard Gattel Prokurist des Familienbetriebs. Im darauffolgenden Frühjahr kam am 25. Februar seine Tochter Charlotte Käthe, genannt Lotte, zur Welt. Die zweite Tochter Anni Hilda wurde am 4. Januar 1913 geboren. Im selben Jahr starb Richard Gattels Vater.

Bis Anfang der 1920er Jahre wohnten Richard Gattel und seine Familie in der Prinzenallee 84. Dann bezogen sie eine der drei großen Wohnungen im Vorderhaus der Hutfabrik. Ein Stockwerk höher wohnte Richards Bruder Max mit seiner Frau Anneliese (geb. Hirsch). Der Altersunterschied zwischen Max Gattel und seiner Frau betrug – ähnlich wie bei Richard und Ella Gattel – fast fünfzehn Jahre. Ihr einziges Kind, Inge Johanna, kam im Februar 1922 zur Welt. In der obersten Etage des Hauses wohnte Max’ und Richards unverheiratete Schwester Ella, die als Laborantin im Jüdischen Krankenhaus in der Iranischen Straße arbeitete. Seit dem Ausscheiden des letzten Firmengründers Leo Gattel Ende 1919 war Max Gattel zweiter Geschäftsführer. Während sich Richard Gattel um den Produktionsprozess und den Bürodienst kümmerte, war sein Bruder vor allem im Außendienst tätig und viel im Ausland unterwegs. Später arbeitete auch Richard Gattels Tochter Lotte im Büro mit.

Familie Gattel war nicht religiös, nur an hohen Feiertagen besuchte Richard Gattels Frau mit ihrem Vater die Neue Synagoge in der Oranienburger Straße. Aufgrund seiner patriotischen Einstellung meldete sich Richard Gattel 1917 mit 47 Jahren freiwillig zum Kriegsdienst. Er diente auf dem Flugplatz Adlershof, übernachtete aber zu Hause und musste daher morgens um 4 Uhr aufstehen, um rechtzeitig zum Dienstbeginn zu erscheinen. Schließlich brach er eines Tages beim Morgenappell zusammen und musste ein Jahr im Lazarett verbringen, das im Jüdischen Krankenhaus untergebracht war.

Seine Tochter Anni beschreibt ihren Vater in ihren Lebenserinnerungen als belesenen und geschichtlich interessierten Mann, der sehr in der Berliner Kultur verwurzelt war. Er war Mitglied des „Vereins für die Geschichte Berlins“ und einer Freien Literarischen Vereinigung, der unter anderem auch Gerhart Hauptmann angehört hatte. Während des Ersten Weltkriegs und einige Jahre danach nahm er bei Eli Bey Bolland, der aus der Türkei stammte, Unterricht in türkischer Sprache. An freien Sonntagen unternahm er mit seinen Töchtern Spaziergänge durch ganz Berlin und erzählte ihnen von der Vergangenheit der Stadt. Außerdem begeisterte er sich für Sport, hatte sich aber in seiner Jugend ein Sportlerherz zugezogen und durfte sich nicht mehr sportlich betätigen. Erst mit 60 Jahren begann er wieder zu schwimmen und zu rudern. Er war Mitglied in einem Ruderclub und besaß ein eigenes Boot. Seine Tochter Anni fuhr bei Regatten als Steuerfrau mit. 1930 heiratete die ältere Tochter Lotte den aus Ilmenau stammenden Heinz Gabbe. Richard Gattels erstes Enkelkind Ruth kam 1932 zur Welt.

In der Weltwirtschaftskrise und auch aufgrund der sich verändernden Mode brach der Umsatz der Firma Gattel stark ein. 1931 wurde die Produktion in der Prinzenallee eingestellt. Im Juli 1932 veranlasste die Hamburger Hypothekenbank, dass die Grundstücke der Familie unter Zwangsverwaltung gestellt wurden. Ende August 1933 erfolgte der Verkauf an den Zwangsverwalter Joseph Schmitz. Zuvor hatte Richard Gattel mit seinem Bruder die Gebr. Gattel GmbH mit Sitz in Guben in der Lausitz, einem Zentrum der deutschen Hutindustrie, gegründet. Dort fusionierten sie mit der Hutfabrik C.G. Wilke, die weiterhin Hüte unter dem Firmennamen Gattel herstellte – auch noch, nachdem die Firma 1936 „arisiert“ und die Brüder Gattel aus dem Betrieb gedrängt worden waren. Der nichtjüdische Teilhaber zahlte ihnen lediglich einen sehr geringen Betrag aus, der gerade für den Lebensunterhalt von zwei Monaten reichte. Die GmbH Gebr. Gattel wurde am 11. September 1936 aufgelöst.

Seit dem zwangsweisen Verkauf der Grundstücke in der Prinzenallee im Jahr 1933 wohnte Richard Gattel mit seiner Familie in Halensee in einer 4-Zimmer-Wohnung in der Albrecht-Achilles-Straße 7a. Kurze Zeit war er als Vertreter der Bekleidungsfabrikation D. Wurzel & Co. tätig, verdiente dort aber so wenig, dass es nicht für den Lebensunterhalt reichte. Die jüngere Tochter Anni, die als Sekretärin des Palästinaamtes arbeitete, unterstützte ihre Eltern finanziell. Ihr Interesse für Palästina hatte ihr Schwager Heinz Gabbe geweckt, der seit Langem zionistisch aktiv war. Anni wurde Mitglied der zionistischen Pionierorganisation Hechaluz und lebte ab Herbst 1934 zusammen mit ihrem späteren Ehemann Günther Wolff im niederländischen „Werkdorp Nieuwesluis“, wo sie zur Vorbereitung der Auswanderung nach Palästina landwirtschaftlich geschult wurde. Als sie das Zertifikat für ihre Ausreise erhielt, kam Anni Anfang 1936 nach Berlin, um sich von ihren Eltern zu verabschieden. In ihren Lebenserinnerungen schreibt sie: „Auf Wunsch meines überkorrekten Vaters mußte ich mich beim zuständigen Polizeiamt melden, wo man meinen Paß konfiszierte und mich stundenlang verhörte. Als mein Vater merkte, daß ich nicht gleich wieder zurückkam, wurde er sehr nervös und bedauerte unendlich, daß er auf meiner polizeilichen Anmeldung bestanden hatte. Abgesehen von den Sorgen, die er sich um mich machte, konnte er die ‚Ungerechtigkeit‘ der Behörden einfach nicht verstehen.“ Anni musste täglich persönlich bei der Polizei erscheinen und wurde verhört, bis sie nach zwei Monaten ihren Pass zurückbekam und im März 1936 nach Palästina ausreisen konnte. Dort lebte sie in einem Kibbuz und brachte im September 1937 ihren Sohn Esra Benjamin zur Welt. Im Herbst 1938 ging auch Lotte mit ihrem Mann und ihrer inzwischen sechsjährigen Tochter nach Palästina. Richard und Ella Gattel blieben mit ihren Töchtern in Verbindung, was auch nach Kriegsbeginn durch Vermittlung des Roten Kreuzes weiter möglich war.

1939 mussten Richard und Ella Gattel ihre Wertgegenstände aufgrund der reichsweit erlassenen Ablieferungspflicht für Edelmetalle und Edelsteine aus jüdischem Besitz in der städtischen Pfandleihanstalt abliefern. Wenig später waren sie gezwungen, ihre Wohnung in der Albrecht-Achilles-Straße zu verlassen, die einem SA-Angehörigen mit seiner Familie zugewiesen wurde. Sie zogen zur Untermiete in eine Wohnung am Kurfürstendamm. Einen Großteil ihrer Möbel mussten sie in Halensee zurücklassen. Anfang März 1942 zog der inzwischen 71-jährige Richard Gattel mit seiner Frau in die Regensburger Straße 13. Dort bewohnten die Eheleute bei Günter Hirschel ein Durchgangszimmer mit Notküche. Der erneute Umzug erfolgte laut Elli Klimpel, der früheren Erzieherin von Lotte und Anni, da es am Kurfüstendamm zu gefährlich geworden war. In den letzten Jahren lebte das Ehepaar Gattel von der Unterstützung durch Verwandte. Auch Elli Klimpel unterstützte sie mit Lebensmitteln.

Am 11. September 1942 wurden Richard Gattel und seine Frau Ella mit dem „62. Alterstransport“ nach Theresienstadt deportiert. Am Tag der Deportation benachrichtigten sie Elli Klimpel, die sie ein letztes Mal besuchte, um Abschied zu nehmen. Richard Gattels Bruder Max und seine Schwägerin Anneliese waren bereits kurz zuvor von ihrer letzten Wohnung in der Clausewitzstraße 2 mit dem „19. Osttransport“ nach Riga deportiert und dort vermutlich unmittelbar nach der Ankunft ermordet worden. Seine Schwestern Ella und Lucy nahmen sich vor der drohenden Deportation das Leben, Lucy zusammen mit ihrem Ehemann Erich Blumberg am 30. August 1942, Ella am 22. Dezember 1942.

Richard Gattel starb am 29. Januar 1943 in Theresienstadt an Entkräftung. Seine Witwe kam im März 1944 ebenfalls in Theresienstadt ums Leben.

Richard Gattel wurde am 3. Juni 1870 in Berlin als Sohn einer alteingesessenen jüdischen Familie geboren. Seine Mutter Bertha, geb. Sternberg, kam um 1845 in Spandau zur Welt. Der Vater Borchard Gattel betrieb eine Fabrik für Herrenmützen und -hüte, die er Ende der 1860er Jahre zusammen mit seinen Brüdern Moritz und Leo gegründet hatte. Richard Gattel hatte einen Bruder, Max, und drei Schwestern, Claire, Ella und Lucy. Er besuchte die Realschule, die er mit der Mittleren Reife verließ. Anschließend machte er eine dreijährige kaufmännische Lehre. Wie auch sein jüngerer Bruder Max trat er in den Betrieb seines Vaters ein, der sich damals in der Neuen Königstraße 31 (heute Otto-Braun-Straße) befand.

Zwischen 1889 und 1891 ließ Familie Gattel im Wedding auf dem Grundstück Prinzenallee 58 ein viergeschossiges Fabrikgebäude bauen. Das im Patrizierstil errichtete Vorderhaus diente als Wohnhaus der Familie, im Seitenflügel befanden sich Arbeiterwohnungen. Auch das Wohnhaus in der Prinzenallee 57 gehörte zum Familienbesitz, der außerdem einen an das Fabrikgelände anschließenden, bis zur Panke reichenden Garten umfasste. Am 4. September 1891 wurde die Wollfilzfabrik Gebrüder Gattel in der Prinzenallee in Betrieb genommen. Bis zu 175 Beschäftigte stellten dort in den folgenden vier Jahrzehnten Herrenhüte her. Ein Werbeslogan der bekannten Marke Gattel lautete „Ihr Hut ist eine Nummer zu klein!“

Im Alter von 25 Jahren wurde Richard Gattel für ein Jahr nach Philadelphia geschickt, wo er eine zusätzliche Ausbildung in Wollfilzfärberei erhielt. Am 2. Juni 1906, einen Tag vor seinem 36. Geburtstag, heiratete er die vierzehn Jahre jüngere Ella Pinthus. Die Ehe wurde in Halle an der Saale geschlossen, der Heimatstadt seiner Frau. Als 1908 sein Onkel Moritz starb, wurde Richard Gattel Prokurist des Familienbetriebs. Im darauffolgenden Frühjahr kam am 25. Februar seine Tochter Charlotte Käthe, genannt Lotte, zur Welt. Die zweite Tochter Anni Hilda wurde am 4. Januar 1913 geboren. Im selben Jahr starb Richard Gattels Vater.

Bis Anfang der 1920er Jahre wohnten Richard Gattel und seine Familie in der Prinzenallee 84. Dann bezogen sie eine der drei großen Wohnungen im Vorderhaus der Hutfabrik. Ein Stockwerk höher wohnte Richards Bruder Max mit seiner Frau Anneliese (geb. Hirsch). Der Altersunterschied zwischen Max Gattel und seiner Frau betrug – ähnlich wie bei Richard und Ella Gattel – fast fünfzehn Jahre. Ihr einziges Kind, Inge Johanna, kam im Februar 1922 zur Welt. In der obersten Etage des Hauses wohnte Max’ und Richards unverheiratete Schwester Ella, die als Laborantin im Jüdischen Krankenhaus in der Iranischen Straße arbeitete. Seit dem Ausscheiden des letzten Firmengründers Leo Gattel Ende 1919 war Max Gattel zweiter Geschäftsführer. Während sich Richard Gattel um den Produktionsprozess und den Bürodienst kümmerte, war sein Bruder vor allem im Außendienst tätig und viel im Ausland unterwegs. Später arbeitete auch Richard Gattels Tochter Lotte im Büro mit.

Familie Gattel war nicht religiös, nur an hohen Feiertagen besuchte Richard Gattels Frau mit ihrem Vater die Neue Synagoge in der Oranienburger Straße. Aufgrund seiner patriotischen Einstellung meldete sich Richard Gattel 1917 mit 47 Jahren freiwillig zum Kriegsdienst. Er diente auf dem Flugplatz Adlershof, übernachtete aber zu Hause und musste daher morgens um 4 Uhr aufstehen, um rechtzeitig zum Dienstbeginn zu erscheinen. Schließlich brach er eines Tages beim Morgenappell zusammen und musste ein Jahr im Lazarett verbringen, das im Jüdischen Krankenhaus untergebracht war.

Seine Tochter Anni beschreibt ihren Vater in ihren Lebenserinnerungen als belesenen und geschichtlich interessierten Mann, der sehr in der Berliner Kultur verwurzelt war. Er war Mitglied des „Vereins für die Geschichte Berlins“ und einer Freien Literarischen Vereinigung, der unter anderem auch Gerhart Hauptmann angehört hatte. Während des Ersten Weltkriegs und einige Jahre danach nahm er bei Eli Bey Bolland, der aus der Türkei stammte, Unterricht in türkischer Sprache. An freien Sonntagen unternahm er mit seinen Töchtern Spaziergänge durch ganz Berlin und erzählte ihnen von der Vergangenheit der Stadt. Außerdem begeisterte er sich für Sport, hatte sich aber in seiner Jugend ein Sportlerherz zugezogen und durfte sich nicht mehr sportlich betätigen. Erst mit 60 Jahren begann er wieder zu schwimmen und zu rudern. Er war Mitglied in einem Ruderclub und besaß ein eigenes Boot. Seine Tochter Anni fuhr bei Regatten als Steuerfrau mit. 1930 heiratete die ältere Tochter Lotte den aus Ilmenau stammenden Heinz Gabbe. Richard Gattels erstes Enkelkind Ruth kam 1932 zur Welt.

In der Weltwirtschaftskrise und auch aufgrund der sich verändernden Mode brach der Umsatz der Firma Gattel stark ein. 1931 wurde die Produktion in der Prinzenallee eingestellt. Im Juli 1932 veranlasste die Hamburger Hypothekenbank, dass die Grundstücke der Familie unter Zwangsverwaltung gestellt wurden. Ende August 1933 erfolgte der Verkauf an den Zwangsverwalter Joseph Schmitz. Zuvor hatte Richard Gattel mit seinem Bruder die Gebr. Gattel GmbH mit Sitz in Guben in der Lausitz, einem Zentrum der deutschen Hutindustrie, gegründet. Dort fusionierten sie mit der Hutfabrik C.G. Wilke, die weiterhin Hüte unter dem Firmennamen Gattel herstellte – auch noch, nachdem die Firma 1936 „arisiert“ und die Brüder Gattel aus dem Betrieb gedrängt worden waren. Der nichtjüdische Teilhaber zahlte ihnen lediglich einen sehr geringen Betrag aus, der gerade für den Lebensunterhalt von zwei Monaten reichte. Die GmbH Gebr. Gattel wurde am 11. September 1936 aufgelöst.

Seit dem zwangsweisen Verkauf der Grundstücke in der Prinzenallee im Jahr 1933 wohnte Richard Gattel mit seiner Familie in Halensee in einer 4-Zimmer-Wohnung in der Albrecht-Achilles-Straße 7a. Kurze Zeit war er als Vertreter der Bekleidungsfabrikation D. Wurzel & Co. tätig, verdiente dort aber so wenig, dass es nicht für den Lebensunterhalt reichte. Die jüngere Tochter Anni, die als Sekretärin des Palästinaamtes arbeitete, unterstützte ihre Eltern finanziell. Ihr Interesse für Palästina hatte ihr Schwager Heinz Gabbe geweckt, der seit Langem zionistisch aktiv war. Anni wurde Mitglied der zionistischen Pionierorganisation Hechaluz und lebte ab Herbst 1934 zusammen mit ihrem späteren Ehemann Günther Wolff im niederländischen „Werkdorp Nieuwesluis“, wo sie zur Vorbereitung der Auswanderung nach Palästina landwirtschaftlich geschult wurde. Als sie das Zertifikat für ihre Ausreise erhielt, kam Anni Anfang 1936 nach Berlin, um sich von ihren Eltern zu verabschieden. In ihren Lebenserinnerungen schreibt sie: „Auf Wunsch meines überkorrekten Vaters mußte ich mich beim zuständigen Polizeiamt melden, wo man meinen Paß konfiszierte und mich stundenlang verhörte. Als mein Vater merkte, daß ich nicht gleich wieder zurückkam, wurde er sehr nervös und bedauerte unendlich, daß er auf meiner polizeilichen Anmeldung bestanden hatte. Abgesehen von den Sorgen, die er sich um mich machte, konnte er die ‚Ungerechtigkeit‘ der Behörden einfach nicht verstehen.“ Anni musste täglich persönlich bei der Polizei erscheinen und wurde verhört, bis sie nach zwei Monaten ihren Pass zurückbekam und im März 1936 nach Palästina ausreisen konnte. Dort lebte sie in einem Kibbuz und brachte im September 1937 ihren Sohn Esra Benjamin zur Welt. Im Herbst 1938 ging auch Lotte mit ihrem Mann und ihrer inzwischen sechsjährigen Tochter nach Palästina. Richard und Ella Gattel blieben mit ihren Töchtern in Verbindung, was auch nach Kriegsbeginn durch Vermittlung des Roten Kreuzes weiter möglich war.

1939 mussten Richard und Ella Gattel ihre Wertgegenstände aufgrund der reichsweit erlassenen Ablieferungspflicht für Edelmetalle und Edelsteine aus jüdischem Besitz in der städtischen Pfandleihanstalt abliefern. Wenig später waren sie gezwungen, ihre Wohnung in der Albrecht-Achilles-Straße zu verlassen, die einem SA-Angehörigen mit seiner Familie zugewiesen wurde. Sie zogen zur Untermiete in eine Wohnung am Kurfürstendamm. Einen Großteil ihrer Möbel mussten sie in Halensee zurücklassen. Anfang März 1942 zog der inzwischen 71-jährige Richard Gattel mit seiner Frau in die Regensburger Straße 13. Dort bewohnten die Eheleute bei Günter Hirschel ein Durchgangszimmer mit Notküche. Der erneute Umzug erfolgte laut Elli Klimpel, der früheren Erzieherin von Lotte und Anni, da es am Kurfüstendamm zu gefährlich geworden war. In den letzten Jahren lebte das Ehepaar Gattel von der Unterstützung durch Verwandte. Auch Elli Klimpel unterstützte sie mit Lebensmitteln.

Am 11. September 1942 wurden Richard Gattel und seine Frau Ella mit dem „62. Alterstransport“ nach Theresienstadt deportiert. Am Tag der Deportation benachrichtigten sie Elli Klimpel, die sie ein letztes Mal besuchte, um Abschied zu nehmen. Richard Gattels Bruder Max und seine Schwägerin Anneliese waren bereits kurz zuvor von ihrer letzten Wohnung in der Clausewitzstraße 2 mit dem „19. Osttransport“ nach Riga deportiert und dort vermutlich unmittelbar nach der Ankunft ermordet worden. Seine Schwestern Ella und Lucy nahmen sich vor der drohenden Deportation das Leben, Lucy zusammen mit ihrem Ehemann Erich Blumberg am 30. August 1942, Ella am 22. Dezember 1942.

Richard Gattel starb am 29. Januar 1943 in Theresienstadt an Entkräftung. Seine Witwe kam im März 1944 ebenfalls in Theresienstadt ums Leben.