Berthold Simson wurde am 4. Juli 1861 in Stolp in Pommern (heute: Słupsk / Polen) geboren. Er wuchs mit zahlreichen Geschwistern in seinem Geburtsort auf, in dem sein Vater Hirsch Simson einen Pferdehandel betrieb. Als junger Mann kam Berthold Simson 1881 über Stargard nach Berlin, wohin auch mindestens drei seiner Brüder, seine Schwester Elise sowie die Mutter Rosa Simson (geb. Rosenthal) übersiedelten. Zusammen mit seinem jüngeren Bruder Leo gründete er eine Buchbinderei in der Spandauer Straße 36.<br />
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Zeitweise hielt sich Berthold Simson in Bayern auf. 1892 wurde in Regensburg seine älteste Tochter Barbara Maria geboren. Barbaras Mutter Maria Frank, genannt Marie, war die Tochter eines katholischen Badereibesitzers aus Straubing. Sie heiratete Berthold Simson 1896 in München.<br />
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Die vier weiteren Kinder von Berthold und Marie Simson wurden in Berlin geboren. Nur zwei von ihnen überlebten das früheste Kindesalter: Hans Hermann, der im April 1897 zur Welt kam, und die im Oktober 1905 geborene jüngste Tochter Gertrud Ursula, die beide mit ihren zweiten Vornamen gerufen wurden.<br />
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Die 1899 geborene Tochter Marie Dorothee starb im Januar 1901. Sie wurde auf dem Jüdischen Friedhof in Berlin-Weißensee beigesetzt. Frank Eberhard, der im Frühjahr 1903 zur Welt kam, wurde nur knapp acht Monate alt.<br />
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Während die älteste Tochter Barbara wie ihre Mutter katholisch getauft worden war, gehörten ihre Geschwister wie der Vater der Jüdischen Gemeinde an. Hermann und Ursula besuchten die Jüdische Religionsschule, sonst spielte Religion im Alltag der Familie keine große Rolle. Aber sowohl die jüdischen als auch die christlichen Feste begingen alle Familienmitglieder gemeinsam und sie besuchten an hohen Feiertagen die Synagoge in der Levetzowstraße oder die St. Hedwigs-Kathedrale am Kaiser-Franz-Joseph-Platz (heute: Bebelplatz). Die Ferien verbrachten sie meist bei der jüdischen Verwandtschaft von Berthold Simson in Pommern. Einmal im Jahr besuchte er das Grab seines Vaters in Stolp zum Kaddisch.<br />
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Nachdem sein Bruder und Geschäftspartner Leo 1914 im Alter von 48 Jahren gestorben war, führte Berthold Simson die Buchbinderei noch mehrere Jahre weiter, bis er sie 1922 schließlich aufgeben musste.<br />
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Sein Sohn Hermann, der eine kaufmännische Lehre gemacht hatte, wurde 1916 zum Kriegsdienst eingezogen. Er wurde mit dem Eisernen Kreuz II. Klasse ausgezeichnet und noch 1935 mit dem Ehrenkreuz für Frontkämpfer. Im Jahr 1932 machte sich Hermann als Einzelhändler für Damenbekleidung selbstständig und eröffnete ein Etagengeschäft in der gemeinsamen Wohnung am Schleswiger Ufer 6 (heute die Freifläche vor dem Schleswiger Ufer 5), in der die Familie bereits seit 1898 wohnte. Ursula, die ebenfalls weiter in der Wohnung der Familie lebte, war im Geschäft ihres Bruders als Buchhalterin tätig. Die älteste Tochter Barbara heiratete 1920 den Kaufmann und späteren Wehrmachtsoffizier Konrad Knittel aus Leipzig, der protestantischer Konfession war. Das Paar lebte in Stettin (heute: Szczecin / Polen) und später in Hamburg.<br />
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Im Juli 1935 stellten Berthold Simsons Kinder Hermann und Ursula beim Amtsgericht den Antrag, aus der Jüdischen Gemeinde auszutreten. Sie bekamen einen Termin für den 4. September, wenige Tage vor Inkrafttreten der „Nürnberger Gesetze“ am 15. September 1935. Ursula verpasste den Termin, da sie sich vorübergehend in der Schweiz aufhielt, und konnte erst 1936 aus der Gemeinde austreten. So kam es, dass Hermann wie seine katholisch getaufte Schwester Barbara in der rassistischen Klassifikation der Nazis als „Mischling ersten Grades“ galt, während Ursula als „Geltungsjüdin“ behandelt wurde. Ursula gab 1959 im Entschädigungsverfahren an, dass diese Unterscheidung auch Einfluss auf die Verfolgungsmaßnahmen hatte, denen ihr Vater ausgesetzt war:<br />
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„Wir waren uns darüber im Zweifel, ob mein Vater einen Judenstern tragen mußte, da wir glaubten, daß er auf Grund der Tatsache, daß 2 Kinder Mischlinge I. Grades waren, auf Grund des § 3 der Verordnung vom 1. September 1941 vom Tragen des Judensterns befreit war. In unserem Hause wohnte jedoch der Vorsteher des 21. Polizeireviers. Nachdem auch in unserem Luftschutzkeller Schwierigkeiten wegen der Zulassung meines Vaters entstanden waren und die über uns wohnenden Mieter bei der Polizei Anzeige erstatteten, wurden wir sowohl auf dem Polizeirevier als auch vom Polizeiamt Mitte, welches seinerzeit als vorgesetzte Stelle federführend war, darüber belehrt, daß mein Vater trotz der aus der Ehe hervorgegangenen Kinder, die Mischlinge I. Grades waren, zum Tragen eines Sternes verpflichtet war, weil ich als Jüdin galt.“<br />
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Nachdem im August 1942 Berthold Simsons Schwester Elise von der Gestapo verhaftet und nach Theresienstadt deportiert worden war, fasste er gemeinsam mit seiner Tochter Ursula den Entschluss, sich auf einen Suizid vorzubereiten. Als beide am 5. März 1943 in ihrer Wohnung am Schleswiger Ufer verhaftet wurden, nahmen sie das Schlafmittel Veronal, das Ursula auf dem Schwarzmarkt besorgt hatte. Sie wurden ins Jüdische Krankenhaus gebracht, wo beide wieder zu Bewusstsein kamen. Außergewöhnlich war, dass sie nach fünf Tagen aus dem Krankenhaus entlassen wurden, statt zur Sammelstelle gebracht zu werden. Ursula überlebte, ihrer Einschätzung nach auch dank der Oberin und der Ordensschwestern des St.-Hedwigs-Hospitals, in dem sie bis zum folgenden November blieb. Im April 1944 wurde ihr per Bescheid des Polizeipräsidenten der Rechtsstatus als „Mischling I. Grades“ zugebilligt. <br />
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Berthold Simson erholte sich nicht mehr von den Folgen des Suizidversuchs. Er starb am 18. Juli 1943 im Alter von 82 Jahren in seiner Wohnung am Schleswiger Ufer.<br />
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Zeitweise hielt sich Berthold Simson in Bayern auf. 1892 wurde in Regensburg seine älteste Tochter Barbara Maria geboren. Barbaras Mutter Maria Frank, genannt Marie, war die Tochter eines katholischen Badereibesitzers aus Straubing. Sie heiratete Berthold Simson 1896 in München.
Die vier weiteren Kinder von Berthold und Marie Simson wurden in Berlin geboren. Nur zwei von ihnen überlebten das früheste Kindesalter: Hans Hermann, der im April 1897 zur Welt kam, und die im Oktober 1905 geborene jüngste Tochter Gertrud Ursula, die beide mit ihren zweiten Vornamen gerufen wurden.
Die 1899 geborene Tochter Marie Dorothee starb im Januar 1901. Sie wurde auf dem Jüdischen Friedhof in Berlin-Weißensee beigesetzt. Frank Eberhard, der im Frühjahr 1903 zur Welt kam, wurde nur knapp acht Monate alt.
Während die älteste Tochter Barbara wie ihre Mutter katholisch getauft worden war, gehörten ihre Geschwister wie der Vater der Jüdischen Gemeinde an. Hermann und Ursula besuchten die Jüdische Religionsschule, sonst spielte Religion im Alltag der Familie keine große Rolle. Aber sowohl die jüdischen als auch die christlichen Feste begingen alle Familienmitglieder gemeinsam und sie besuchten an hohen Feiertagen die Synagoge in der Levetzowstraße oder die St. Hedwigs-Kathedrale am Kaiser-Franz-Joseph-Platz (heute: Bebelplatz). Die Ferien verbrachten sie meist bei der jüdischen Verwandtschaft von Berthold Simson in Pommern. Einmal im Jahr besuchte er das Grab seines Vaters in Stolp zum Kaddisch.
Nachdem sein Bruder und Geschäftspartner Leo 1914 im Alter von 48 Jahren gestorben war, führte Berthold Simson die Buchbinderei noch mehrere Jahre weiter, bis er sie 1922 schließlich aufgeben musste.
Sein Sohn Hermann, der eine kaufmännische Lehre gemacht hatte, wurde 1916 zum Kriegsdienst eingezogen. Er wurde mit dem Eisernen Kreuz II. Klasse ausgezeichnet und noch 1935 mit dem Ehrenkreuz für Frontkämpfer. Im Jahr 1932 machte sich Hermann als Einzelhändler für Damenbekleidung selbstständig und eröffnete ein Etagengeschäft in der gemeinsamen Wohnung am Schleswiger Ufer 6 (heute die Freifläche vor dem Schleswiger Ufer 5), in der die Familie bereits seit 1898 wohnte. Ursula, die ebenfalls weiter in der Wohnung der Familie lebte, war im Geschäft ihres Bruders als Buchhalterin tätig. Die älteste Tochter Barbara heiratete 1920 den Kaufmann und späteren Wehrmachtsoffizier Konrad Knittel aus Leipzig, der protestantischer Konfession war. Das Paar lebte in Stettin (heute: Szczecin / Polen) und später in Hamburg.
Im Juli 1935 stellten Berthold Simsons Kinder Hermann und Ursula beim Amtsgericht den Antrag, aus der Jüdischen Gemeinde auszutreten. Sie bekamen einen Termin für den 4. September, wenige Tage vor Inkrafttreten der „Nürnberger Gesetze“ am 15. September 1935. Ursula verpasste den Termin, da sie sich vorübergehend in der Schweiz aufhielt, und konnte erst 1936 aus der Gemeinde austreten. So kam es, dass Hermann wie seine katholisch getaufte Schwester Barbara in der rassistischen Klassifikation der Nazis als „Mischling ersten Grades“ galt, während Ursula als „Geltungsjüdin“ behandelt wurde. Ursula gab 1959 im Entschädigungsverfahren an, dass diese Unterscheidung auch Einfluss auf die Verfolgungsmaßnahmen hatte, denen ihr Vater ausgesetzt war:
„Wir waren uns darüber im Zweifel, ob mein Vater einen Judenstern tragen mußte, da wir glaubten, daß er auf Grund der Tatsache, daß 2 Kinder Mischlinge I. Grades waren, auf Grund des § 3 der Verordnung vom 1. September 1941 vom Tragen des Judensterns befreit war. In unserem Hause wohnte jedoch der Vorsteher des 21. Polizeireviers. Nachdem auch in unserem Luftschutzkeller Schwierigkeiten wegen der Zulassung meines Vaters entstanden waren und die über uns wohnenden Mieter bei der Polizei Anzeige erstatteten, wurden wir sowohl auf dem Polizeirevier als auch vom Polizeiamt Mitte, welches seinerzeit als vorgesetzte Stelle federführend war, darüber belehrt, daß mein Vater trotz der aus der Ehe hervorgegangenen Kinder, die Mischlinge I. Grades waren, zum Tragen eines Sternes verpflichtet war, weil ich als Jüdin galt.“
Nachdem im August 1942 Berthold Simsons Schwester Elise von der Gestapo verhaftet und nach Theresienstadt deportiert worden war, fasste er gemeinsam mit seiner Tochter Ursula den Entschluss, sich auf einen Suizid vorzubereiten. Als beide am 5. März 1943 in ihrer Wohnung am Schleswiger Ufer verhaftet wurden, nahmen sie das Schlafmittel Veronal, das Ursula auf dem Schwarzmarkt besorgt hatte. Sie wurden ins Jüdische Krankenhaus gebracht, wo beide wieder zu Bewusstsein kamen. Außergewöhnlich war, dass sie nach fünf Tagen aus dem Krankenhaus entlassen wurden, statt zur Sammelstelle gebracht zu werden. Ursula überlebte, ihrer Einschätzung nach auch dank der Oberin und der Ordensschwestern des St.-Hedwigs-Hospitals, in dem sie bis zum folgenden November blieb. Im April 1944 wurde ihr per Bescheid des Polizeipräsidenten der Rechtsstatus als „Mischling I. Grades“ zugebilligt.
Berthold Simson erholte sich nicht mehr von den Folgen des Suizidversuchs. Er starb am 18. Juli 1943 im Alter von 82 Jahren in seiner Wohnung am Schleswiger Ufer.