Martin Mendelsohn

Verlegeort
Thomasiusstraße 5
Bezirk/Ortsteil
Moabit
Verlegedatum
08. August 2014
Geboren
27. Januar 1881 in Sorau / Żary
Verhaftet
November 1938 bis 22. Dezember 1938 im KZ Sachsenhausen
Deportation
am 19. Mai 1943 in das KZ Theresienstadt
Ermordet
17. Februar 1944 im KZ Theresienstadt

Martin Mendelsohn wurde am 27. Januar 1881 in Sorau (dem heutigen Żary in Polen) geboren. Er war der Sohn des Kaufmanns Hermann Mendelsohn (1848–1931) und von dessen Ehefrau Jenny Mendelsohn, geborene Brie (1844–1924). Sein Vater stammte aus der brandenburgischen Ortschaft Lausitz (heute eingemeindeter Ortsteil von Bad Liebenwerda), seine Mutter aus der Stadt Rawitsch aus der damaligen Provinz Posen (dem heutigen Rawicz). 1874 hatten seine Eltern geheiratet und sich in Sorau niedergelassen, wo 1875 und 1877 mit Max und Julie Mendelsohn zwei ältere Geschwister von Martin zur Welt kamen. 1878 wurde ein weiterer Bruder von Martin, Ludwig Mendelsohn, in Lausitz geboren. Martin kam schließlich als jüngstes Kind der Mendelsohns in Sorau zur Welt. Zum Zeitpunkt von Martins Geburt lebte die Familie in einer Wohnung in der Innenstadt am Marktplatz Nr. 8. Leider haben sich keine weiteren Quellen erhalten, die einen Einblick in das Elternhaus, die Kindheit und Jugend von Martin Mendelsohn und seinen Geschwistern im Sorau der Kaiserzeit geben könnten. Seine Eltern gehörten aber aller Wahrscheinlichkeit nach zur kleinen jüdischen Gemeinde des Ortes, zu der zum Zeitpunkt der Geburt von Martin etwa 150 der knapp 14.000 Einwohner zählten.

Nach seinem Schulabschluss absolvierte Martin Mendelsohn eine kaufmännische Ausbildung und war anschließend als Kaufmann tätig. Es ist nicht genau bekannt, wann die Familie Mendelsohn Sorau verließ und sich in Berlin niederließ, aber in den 1900er-Jahren heirateten seine drei Geschwister in der Hauptstadt: Julie ehelichte 1902 den aus Kiel stammenden Kaufmann Israel Georg Goldstein und ließ sich mit ihm in Berlin-Mitte in einer Wohnung in der Zehdenicker Straße 20 nieder. Im Juni 1903 kam Martins Neffe Siegbert zur Welt. Martins älterer Bruder Max heiratete 1904 die Berlinerin Gertrud Benschke. Er lebte später mit ihr in der Landsberger Straße 32 (heutige Landsberger Allee) in Mitte. Ludwig Mendelsohn hatte sich nach seinem Medizinstudium in Berlin als praktizierender Arzt niedergelassen, war seit 1907 Leiter des Jüdischen Säuglings- und Kleinkinderheims Berlin-Niederschönhausen und heiratete 1909 die Krankenschwester Käthe Marie Henriette Kiesau. 1912 kam ihr Sohn Ernst Albrecht in Berlin zu Welt und im Juli 1913 folgten die Zwillinge Elistreva Lisbeth Thea und Hans Simon Mendelsohn. Martin Mendelsohn arbeitete als Kaufmann in Berlin. Er blieb ledig und lebte bei seinen Eltern in einer Wohnung in Alt-Moabit 84b im Westfälischen Viertel von Moabit, bis seine Mutter 1924 und sein Vater 1931 verstarben. 1912 war seine Schwester mit ihrem Ehemann und ihrem Sohn in eine Wohnung im Nachbarhaus, an die Adresse Alt-Moabit 83b, gezogen. Zum Ende des Ersten Weltkriegs war Julies Ehemann Israel Georg Goldstein schwer erkrankt. Er wurde im Jüdischen Krankenhaus an der Exerzierstraße (heute Iranische Straße) behandelt, verstarb aber am 23. Dezember 1918. Anfang der 1920er-Jahre wurde Martin Mendelsohn Mitinhaber des Engros-Warengeschäfts für Seidenbänder und Seidenstoffe „Gerson Krotowski“ in der Krausenstraße 19/20. Nach dem Tod seines Vaters 1931 zog Martin Mendelsohn in eine neue Wohnung in der Brückenallee 23 im alten Berliner Hansaviertel (heute Bartningallee). Leider haben sich keine weiteren Zeugnisse erhalten, die einen Einblick in das Leben des Kaufmanns im Berlin der Weimarer Republik geben können.

Mit der schrittweisen Entrechtung und Verfolgung von Juden seit 1933 – beziehungsweise aller Personen, die nach den Nürnberger Gesetzen im NS-Staat als Juden galten – begannen auch Zwangsmaßnahmen gegen Martin Mendelsohn und seine Familienangehörigen. Darunter fielen zahlreiche Maßnahmen der Diskriminierung und sozialen Ausgrenzung, des Entzugs staatsbürgerlicher Rechte sowie der Verdrängung aus dem Bildungs- und Berufsleben. Gesetze und Sondererlasse drängten die Angehörigen der Familie Mendelsohn zunehmend in die Position von Rechtlosen im eigenen Land. Seit 1933 war Martin Mendelsohn außerdem als Geschäftsinhaber von den antisemitischen Kampagnen, Boykotten und Ausschreitungen betroffen, die in Berlin ihren sichtbarsten Ausdruck in den Pogromen im Juni und November 1938 erfuhren. Laut Aufzeichnungen seiner Schwester Julie war Martin Mendelsohn in den 1930er-Jahren gezwungen, die Lagerbestände des Geschäfts zu verschleudern und 1938 musste er das Unternehmen schließlich zwangsweise verkaufen. Im selben Jahr zog er aus seiner Wohnung in der Brückenallee aus und zusammen mit seiner Schwester und seinem Neffen, Dr. Siegbert Goldstein, in eine sechseinhalb Zimmerwohnung in der Thomasiusstraße 5 in Moabit. Siegbert hatte ein juristisches Studium abgeschlossen und war während der Weimarer Republik als Richter an das Amtsgericht II Berlin berufen worden. Mit dem „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ vom 7. April 1933 war Dr. Siegbert Goldstein „als Beamter nicht arischer Abstammung“ entlassen worden. Nach seinem erzwungenen Ausscheiden aus dem Staatsdienst wurde er in den 1930er-Jahren Leiter der Schlichtungsstelle der Berliner Jüdischen Gemeinde. Martin Mendelsohn nahm, nachdem er seines Geschäftes beraubt worden war, eine Stelle als Verwaltungsangestellter der Reichsvereinigung der Juden an. Ende 1938 wurde er verhaftet und vom November bis zum 22. Dezember 1938 als Häftling im KZ Sachsenhausen interniert. Spätestens Anfang der 1940er-Jahre war das Leben für die Angehörigen der Familie Mendelsohn zum Existenzkampf geworden. Um nur eine der vielen einschneidenden Maßnahmen zu nennen, konnten sie sich mit der Polizeiverordnung vom 1. September 1941 „über die Kennzeichnung der Juden“ nur noch mit stigmatisierendem „Judenstern“ in der Öffentlichkeit bewegen. Im Oktober 1942 mussten Martin Mendelsohn, seine Schwester und sein Neffe auf behördliche Weisung hin noch einmal umziehen. Sie zogen in eine Wohnung in der vierten Etage der Tile-Wardenberg-Straße 26a, die sie zusammen mit zwei jüdischen Untermietern bewohnten.

Im November 1942 drangen Gestapobeamte in Siegbert Goldsteins Büroräume ein und verhafteten ihn zusammen mit 17 anderen Gemeindebeamten als Geiseln für den Vorstand der Berliner Jüdischen Gemeinde. Im Vorfeld der „Gemeindeaktion“, bei der Hunderte Gemeindemitarbeiter am 26. Oktober 1942 in das Ghetto Riga deportiert werden sollten, hatte der Vorstand den Aufenthalt von 20 Personen nicht ermitteln und der Gestapo mitteilen können. Mit der Geiselnahme sollte Druck auf den Vorstand aufgebaut werden. Siegbert Goldstein wurde in das Polizeipräsidium Alexanderplatz gebracht und von dort aus in das Zellengefängnis Lehrter Straße. Im Dezember wurde Martin Mendelsohn von der Jüdischen Gemeinde mitgeteilt, dass sein Neffe am 3. Dezember 1942 in Lichterfelde zusammen mit sieben anderen Geiseln erschossen worden war. Martin Mendelsohn und seine Schwester Julie erhielten den Deportationsbescheid im Frühling 1943. Sie wurden in einem der Berliner Sammellager interniert und von dort aus am 19. Mai 1943 mit dem „89. Alterstransport“ in das Ghetto Theresienstadt deportiert. Martin Mendelsohn überlebte die unmenschlichen Bedingungen in Theresienstadt fast ein Jahr, bevor er am 17. Februar 1944 im Ghetto ermordet wurde – entweder infolge direkter oder indirekter Gewalteinwirkung mittels planvoller Mangelernährung, versagter Medikamente, Kälte und körperlichen Misshandlungen. Zum Zeitpunkt seines Todes war er 63 Jahre alt.

Seine Schwester Julie Goldstein erlebte die Befreiung des Ghettos durch die Rote Armee am 8. Mai 1945. Sie kam zuerst in das bayerische Lager Winzer und dann Deggendorf für Displaced Persons (DP) und emigrierte 1946 in die USA, wo ihr Bruder Ludwig Mendelsohn lebte. Ludwig hatte bis 1933 als Leiter der Säuglings- und Kleinkinderfürsorge im Wedding gearbeitet. Nach seiner Entlassung im April 1933 hatte er noch eine Privatpraxis in Berlin geführt, bevor ihm 1938 die Approbation entzogen worden war. 1941 war er mit seiner Ehefrau und seinen Kindern über Portugal nach Argentinien geflohen, von wo aus er 1945 in die USA emigrierte. Martins älterer Bruder Max Mendelsohn, der nach NS-Kategorien in „Mischehe“ mit seiner nichtjüdischen Ehefrau Gertrud Mendelsohn gelebt hatte, starb unter nicht näher bekannten Umständen am 25. November 1941 in Berlin.