Leo Oschitzki

Verlegeort
Winsstr. 9
Bezirk/Ortsteil
Prenzlauer Berg
Verlegedatum
02. Juni 2021
Geboren
09. März 1892 in Briesen (Westpreußen) / Wąbrzeźno
Beruf
Schneider
Deportation
am 03. Februar 1943 von Berlin nach Auschwitz
Ermordet
04. Februar 1943 in Auschwitz

In der Winsstraße in Prenzlauer Berg liegen schon viele Stolpersteine. Seit dem 2. Juni 2020 liegen dort fünf Stolpersteine mehr, vor dem Haus mit der Nr. 9. Die Steine erinnern an die Familie Oschitzki: an Vater Leo Oschitzki*, die Mutter Tona Oschitzki (geborene Bukofzer) und ihre drei Kinder Alfred, Marion Franziska und Judith Paula.

Leo Oschitzki wurde am 9. März 1892 in Wabrzezno (ehemals in Westpreußen) in Polen geboren. Viele aus seiner Familie waren Schneider. Ein Cousin von ihm, Alfred Oschitzki, lebte schon länger in Berlin als Schneidermeister in der Seelower Str. 23. Leo wohnte laut den Berliner Adressbüchern spätestens ab 1937 in der Winsstraße. Es gibt auch Hinweise, dass er einen Kurzwarenladen in der Straße oder im Viertel hatte.

Seine Frau Tona (auch genannt Tana, Tonia, Tania, Tony) wurde am 4. Mai 1893 in Tuchola (ebenfalls Westpreußen) geboren.

Ihr erstes Kind, Alfred, kam am 24. Juni 1924 in Berlin zur Welt, kurze Zeit später die Tochter Marion Franziska am 10. August 1925 (das Jahr, in dem Hitler sein Buch „Mein Kampf“ veröffentlichte). Fast genau 11 Jahre später kam das Nesthäkchen Judith Paula am 12. August 1936 zur Welt – genau zur Zeit der Olympischen Sommerspiele in Berlin.

Wir wissen noch nicht viel über das Leben der Familie, es gibt aber Briefe in der Wiener Library in London. Briefe, die die Eltern an Marion Franziska schrieben, die als 13jährige kurz vor ihrem 14. Geburtstag mit einem der letzten Kindertransporte England erreichte und dadurch überlebte. Nur zwei Jahre später verlor Marion Franziska ihre ganze Familie. Ihre kleine Schwester Judith Paula wurde mit 6 Jahren in Auschwitz ermordet, ihre Mutter war 49, ihr Vater 50 und ihr Bruder 18 Jahre alt, als sie getötet wurden.

Einige Geschwister von Tona Oschitzki überlebten den Krieg. Zum Beispiel ihr ältester Bruder Arthur Bukofzer (1891-1960). Er war verheiratet mit Charlotte (1904 1985). Sie war keine Jüdin. Es wird gesagt, dass sie sich weigerte, sich von ihrem Mann scheiden zu lassen und eine der Frauen war, die vor dem Gestapo Hauptquartier demonstrierten bis man ihre Männer freiließ. Arthur musste Zwangsarbeit leisten und überlebte mit Hilfe seiner Frau.

Viele diese Informationen stammen von einer Tochter Marion Franziskas. Lange Zeit glaubte Sie, ihre Mutter sei die einzige aus der Generation ihrer Familie, die überlebt hat, weil alle anderen Verwandten entweder tot waren oder keine Kinder hatten. Wie sich im Zuge der Nachforschungen für die Stolpersteine herausstellte, gab es jedoch auch Überlebende auf der Oschitzkiseite in Berlin, z. B. jenen Schneidermeister Alfred Oschitzki, der Cousin von Leo. Der Kontakt zu den Verwandten konnte hergestellt werden. So viele Menschen und Kinder wurden ermordet und mit ihnen so viele noch ungeborene Kinder – ein jedes von ihnen war ein Versprechen an die Welt.

Marion Franziska wurde gerettet und heiratete in England. Sie bekam 3 Kinder, 11 Enkelkinder und bis jetzt 27 Urenkel und Urenkelinnen. Jedes dieser Kinder ist ein Sieg über diejenigen, die den Holocaust planten, mordeten oder halfen, Mütter, Väter und Kinder zu ermorden. Marion Franziska starb 2012 in London. Sie erlebte, wie ihre Familie immer größer wurde. Und in jeder Tochter, jedem Sohn, jedem Baby sind sie auch heute noch lebendig: Tona, Leo, Alfred und Judith Paula.

* Im Internet findet man auf verschiedenen Webseiten falsche Angaben bzw. Verwechslungen mit Leo Oschitzki, geboren 1890 in Bromberg, später ebenfalls wohnhaft in Berlin (Zehlendorf, Eitel-Fritz-Str. 7), verheiratet mit Anna Emilie, geb. Sauer. Später geschieden und über La Paz, Bolivien (wo er seine 2. Frau Johanna heiratete) in die USA ausgewandert. Er hatte bis zu diesem Zeitpunkt keine Kinder.