Franziska Harczyk geb. Citron

Verlegeort
Giesebrechtstr. 18
Bezirk/Ortsteil
Charlottenburg
Verlegedatum
22. September 2010
Geboren
24. Januar 1859 in Tremessen (Posen) / Trzemeszno
Deportation
am 13. August 1942 nach Theresienstadt
Ermordet
22. September 1942 im Ghetto Theresienstadt

Franziska Citron wurde am 24. Januar 1859 in Tremessen (poln. Trzemeszno) als Tochter des Kaufmannes Levi Louis Citron und seiner Ehefrau Helene geb. Pulvermacher geboren. Sie hatte einen älteren Bruder, Hermann (Heimann), Jahrgang 1845, und einen jüngeren, Sally, der 1863 auf die Welt kam. 1867 zog die Familie in das nahe Gnesen (Gniezno).<br />
<br />
Über ihre Kindheit und Jugend wissen wir wenig. Mit Sicherheit hatte Franziska - genannt Franja - Kontakt zur Familie ihres Onkels Bernhard Harczyk, der mit Johanna, Schwester von Franziskas Mutter, verheiratet war und der auch in Gnesen lebte. Denn am 30. September 1878 heiratete Franziska Bernhards Sohn Ignatz in Gnesen. Er war14 Jahre älter als seine Braut. Franziskas Bruder Hermann wiederum hatte 1874 Ignatz' Schwester Florentine geehelicht. <br />
<br />
Ignatz hatte in Berlin und Leipzig neuere Sprachen studiert und war bereits ordentlicher Lehrer am Johannes-Gymnasium in Breslau, und so ließ sich das Paar in dieser Stadt nieder. Sie wohnten zunächst in der Bahnhofstraße 1a, später in der Palmstraße 18. Ignatz stieg zum Oberlehrer auf, 1897 war er im Breslauer Adressbuch als „Professor Oberlehrer" eingetragen. Um 1906 wurde er pensioniert und zog mit Franziska nach Berlin. Die Ehe war kinderlos geblieben.<br />
<br />
In Berlin wohnte das Paar von Anfang an in einer 5-Zimmer-Wohnung in der Giesebrechtstraße 18. Franziskas Bruder Hermann - inzwischen Rentier - und Florentine waren ihre unmittelbaren Nachbarn in der Nr. 19.<br />
Ob und wie Ignatz in Berlin weiterhin beruflich tätig war, ist nicht überliefert. Das Adressbuch kennt ihn als „Dr. phil., Professor" - es ist denkbar, dass er weiterhin Vorträge hielt oder Lehraufträge bekam.<br />
<br />
Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 dürften sich Ignatz' Möglichkeiten stark eingeschränkt haben. Er und Franziska hatten alle diskriminierenden und entwürdigenden Maßnahmen der NS-Regierung zu erdulden. Auch die Pogromnacht im November 1938 blieb ihnen nicht erspart. Ob auch Ignatz Harczyk Opfer von Misshandlungen wurde, wissen wir nicht. Aber wenige Wochen darauf, am 15. Februar 1939, meldete die langjährige Haushaltshilfe Klara Günther, dass Professor Harczyk in seiner Wohnung gestorben sei, Todesursache: „Grippe, Lungenentzündung, Herzschwäche". Er wurde 94 Jahre alt.<br />
<br />
Franziska blieb allein mit Klara Günther in der großen Wohnung. Sie wurde bald genötigt, andere aus ihren Wohnungen vertriebene Juden, aufzunehmen. Zum Zeitpunkt der Volkszählung vom 17. Mai 1939 wohnten Berta Feilchenfeld und Lydia Neustein bei ihr. Geschwister von Lydia Neustein berichteten später, Franziska und Lydia hätten sich die Wohnung geteilt. Möglicherweise war das noch vor der Volkszählung 1939. Als Franziskas Bruder Sally später gezwungen wurde seine Wohnung aufzugeben, fand auch er bei ihr Aufnahme. Der Schwiegervater von Franziskas Nichte Helene (Leni), Hermann Blumenthal, zog ebenfalls in die Giesebrechtstraße 18. Er  hatte bis dahin bei Sally Citron gewohnt. 1941 musste er nochmals umziehen.<br />
<br />
Laut Fritz Blumenthal, Lenis Ehemann - der allerdings mit ihr 1939 auswanderte - bezog Franziska noch eine Witwenrente und hatte auch erhebliche Vermögenswerte. Allerdings konnte sie nicht darüber frei verfügen: Gleich nach den Novemberpogromen 1938 wurden Konten von Juden gesperrt und sie durften nur das Nötige für ein Existenzminimum abheben. Sachwerte, so wie Schmuck, Gold, Silber, hatten sie abzuliefern, eine Entschädigung bekamen sie selten. Fritz Blumental berichtet, die Wertsachen für Tante Franja bei der Pfandleihstelle abgegeben zu haben. Eine Quittung erhielt er nicht.<br />
<br />
Franziska und ihr Bruder Sally wurden im August 1942 im als Sammellager missbrauchten jüdischen Altersheim in der Großen Hamburger Straße 26 interniert und am 13. August nach Theresienstadt deportiert. Im Ghetto Theresienstadt sollten Juden angeblich einen ruhigen Lebensabend verbringen können. Tatsächlich erwarteten sie bei unbeschreiblichen Hygienezuständen im hoffnungslos überfüllten Lager Hunger und Kälte, Krankheiten und Seuchen. Wenige überlebten diese Bedingungen. Sally Citron starb am 11. September 1942, Franziska elf Tage später, am 22. September, offiziell an Altersschwäche. Hinter den Todesursachen auf den „Todesfallanzeigen" verbergen sich allerdings die wirklichen Gründe - die menschenverachtenden Lebensumstände im Ghetto.<br />
<br />
Hermann Blumenthal war zwei Tage vor Franziska und Sally, am 11. August 1942, auch nach Theresienstadt deportiert worden. Ob sie sich dort noch mal sehen konnten, bleibt ungewiss. Hermann wurde kurz nach Franziskas Tod am 26. September 1942 nach Treblinka weiterverschleppt und dort ermordet.<br />
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Franziska Citron wurde am 24. Januar 1859 in Tremessen (poln. Trzemeszno) als Tochter des Kaufmannes Levi Louis Citron und seiner Ehefrau Helene geb. Pulvermacher geboren. Sie hatte einen älteren Bruder, Hermann (Heimann), Jahrgang 1845, und einen jüngeren, Sally, der 1863 auf die Welt kam. 1867 zog die Familie in das nahe Gnesen (Gniezno).

Über ihre Kindheit und Jugend wissen wir wenig. Mit Sicherheit hatte Franziska - genannt Franja - Kontakt zur Familie ihres Onkels Bernhard Harczyk, der mit Johanna, Schwester von Franziskas Mutter, verheiratet war und der auch in Gnesen lebte. Denn am 30. September 1878 heiratete Franziska Bernhards Sohn Ignatz in Gnesen. Er war14 Jahre älter als seine Braut. Franziskas Bruder Hermann wiederum hatte 1874 Ignatz' Schwester Florentine geehelicht.

Ignatz hatte in Berlin und Leipzig neuere Sprachen studiert und war bereits ordentlicher Lehrer am Johannes-Gymnasium in Breslau, und so ließ sich das Paar in dieser Stadt nieder. Sie wohnten zunächst in der Bahnhofstraße 1a, später in der Palmstraße 18. Ignatz stieg zum Oberlehrer auf, 1897 war er im Breslauer Adressbuch als „Professor Oberlehrer" eingetragen. Um 1906 wurde er pensioniert und zog mit Franziska nach Berlin. Die Ehe war kinderlos geblieben.

In Berlin wohnte das Paar von Anfang an in einer 5-Zimmer-Wohnung in der Giesebrechtstraße 18. Franziskas Bruder Hermann - inzwischen Rentier - und Florentine waren ihre unmittelbaren Nachbarn in der Nr. 19.
Ob und wie Ignatz in Berlin weiterhin beruflich tätig war, ist nicht überliefert. Das Adressbuch kennt ihn als „Dr. phil., Professor" - es ist denkbar, dass er weiterhin Vorträge hielt oder Lehraufträge bekam.

Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 dürften sich Ignatz' Möglichkeiten stark eingeschränkt haben. Er und Franziska hatten alle diskriminierenden und entwürdigenden Maßnahmen der NS-Regierung zu erdulden. Auch die Pogromnacht im November 1938 blieb ihnen nicht erspart. Ob auch Ignatz Harczyk Opfer von Misshandlungen wurde, wissen wir nicht. Aber wenige Wochen darauf, am 15. Februar 1939, meldete die langjährige Haushaltshilfe Klara Günther, dass Professor Harczyk in seiner Wohnung gestorben sei, Todesursache: „Grippe, Lungenentzündung, Herzschwäche". Er wurde 94 Jahre alt.

Franziska blieb allein mit Klara Günther in der großen Wohnung. Sie wurde bald genötigt, andere aus ihren Wohnungen vertriebene Juden, aufzunehmen. Zum Zeitpunkt der Volkszählung vom 17. Mai 1939 wohnten Berta Feilchenfeld und Lydia Neustein bei ihr. Geschwister von Lydia Neustein berichteten später, Franziska und Lydia hätten sich die Wohnung geteilt. Möglicherweise war das noch vor der Volkszählung 1939. Als Franziskas Bruder Sally später gezwungen wurde seine Wohnung aufzugeben, fand auch er bei ihr Aufnahme. Der Schwiegervater von Franziskas Nichte Helene (Leni), Hermann Blumenthal, zog ebenfalls in die Giesebrechtstraße 18. Er  hatte bis dahin bei Sally Citron gewohnt. 1941 musste er nochmals umziehen.

Laut Fritz Blumenthal, Lenis Ehemann - der allerdings mit ihr 1939 auswanderte - bezog Franziska noch eine Witwenrente und hatte auch erhebliche Vermögenswerte. Allerdings konnte sie nicht darüber frei verfügen: Gleich nach den Novemberpogromen 1938 wurden Konten von Juden gesperrt und sie durften nur das Nötige für ein Existenzminimum abheben. Sachwerte, so wie Schmuck, Gold, Silber, hatten sie abzuliefern, eine Entschädigung bekamen sie selten. Fritz Blumental berichtet, die Wertsachen für Tante Franja bei der Pfandleihstelle abgegeben zu haben. Eine Quittung erhielt er nicht.

Franziska und ihr Bruder Sally wurden im August 1942 im als Sammellager missbrauchten jüdischen Altersheim in der Großen Hamburger Straße 26 interniert und am 13. August nach Theresienstadt deportiert. Im Ghetto Theresienstadt sollten Juden angeblich einen ruhigen Lebensabend verbringen können. Tatsächlich erwarteten sie bei unbeschreiblichen Hygienezuständen im hoffnungslos überfüllten Lager Hunger und Kälte, Krankheiten und Seuchen. Wenige überlebten diese Bedingungen. Sally Citron starb am 11. September 1942, Franziska elf Tage später, am 22. September, offiziell an Altersschwäche. Hinter den Todesursachen auf den „Todesfallanzeigen" verbergen sich allerdings die wirklichen Gründe - die menschenverachtenden Lebensumstände im Ghetto.

Hermann Blumenthal war zwei Tage vor Franziska und Sally, am 11. August 1942, auch nach Theresienstadt deportiert worden. Ob sie sich dort noch mal sehen konnten, bleibt ungewiss. Hermann wurde kurz nach Franziskas Tod am 26. September 1942 nach Treblinka weiterverschleppt und dort ermordet.