Gertrud Polke geb. Rothgießer

Verlegeort
Stierstr. 19
Bezirk/Ortsteil
Friedenau
Verlegedatum
19. März 2014
Geboren
29. September 1905 in Berlin
Beruf
Operettensängerin
Deportation
am 13. Januar 1942 nach Riga
Später deportiert
nach Stutthof
Später deportiert
1944 nach Feuerstein (Krzemieniewo)
Überlebt

Gertrud Rothgießer wurde am 29. September 1905 als Tochter des jüdischen Oberingenieurs Ivan Rothgießer und seiner „arischen“ Ehefrau Emma Rothgießer in Berlin geboren. Über ihre Kindheit und Jugend ist nichts Näheres bekannt. Ihr erster Ehemann hieß Walter Müller. Von ihm ließ sie sich nach kurzer Zeit bereits wieder scheiden. Gertrud studierte bei Professor Taubert Gesang und Klavier. Als ausgebildete Operettensängerin trat sie in einigen Revuen von Friedrich Holländer unter dem Künstlernamen Gerty Roth auf und übernahm die Hauptrolle der "Schönen Melusine" im Residenztheater. Sie heiratete am 9. Juli 1931 in zweiter Ehe den am 23. September 1891 in Berlin geborenen Filmkaufmann und erfolgreichen Kinotheater-Direktor Herbert Polke. Im gleichen Jahr trat Gertrud Polke zum Judentum über und galt deshalb als "Mischling I. Grades" bzw. als so genannte "Geltungsjüdin". Ihren Mann hatte sie vermutlich bei seiner Arbeit kennen gelernt, denn Herbert Polke war Inhaber der BEBA-Lichtspiele am Kaiserplatz (heute: Bundesplatz) an der Berliner Straße/Ecke Kaiserallee (heute: Bundesallee). Er war Bauherr eines weiteren Kinos an der Kaiserallee/Ecke Berliner Straße, das er 1927 eröffnet hatte. Das "Atrium", das nach dem Vorbild des römischen Kolosseums gebaut wurde, bot Platz für 2.025 Besucher. Ende 1932 gründete er eine eigene Filmproduktionsfirma. Er plante, für die "Süd-Film" das Drehbuch seines Partners Walter Sulke nach dessen Buch "Petroleum" zu verfilmen. Der Tenor Joseph Schmidt sollte die Hauptrolle erhalten und seine Frau Gertrud Polke seine Filmpartnerin werden. Herbert Polke war Mitglied des Verbandes der Berliner Theaterdirektoren. Aufgrund des Reichskulturkammergesetzes vom 22. September 1933 wurde er jedoch aus dem Verband ausgeschlossen. Das bedeutete auch das berufliche Aus für die Sängerin Gertrud Polke. <br />
Außerdem zog die Filmfirma im Frühjahr 1933 den Auftrag mit der Begründung zurück, dass sie von jüdischen Produzenten keine Filme mehr abnehmen könne. Ein weiteres Lichtspieltheater, die ehemaligen "Nelson-Künstlerspiele", ließ Herbert Polke deshalb mit Hilfe des "arischen" Strohmanns Max Hauptmann bauen. Im Mai 1934 übernahm er zu gleichen Teilen die Leitung des Kinos „Astor“ am Kurfürstendamm/Ecke Fasanenstraße gemeinsam mit seinem „arischen“ Partner. Nach Außen trat Max Hauptmann als Alleininhaber des Kinos auf, bis 1936 betrieb man aber das Unternehmen gemeinsam. Das Ehepaar Polke wohnte zu dieser Zeit in Wilmersdorf in der Güntzelstraße 7-8, verfügte über mehrere Hausangestellte und einen Chauffeur für "den Benz". Ende Februar 1936 wurde Herbert Polke offiziell von der Leitung des Kinos „Astor“ ausgeschlossen. Danach arbeitete er nur noch gegen Barzahlung in beratener Tätigkeit für das Kino. Aufgrund des wirtschaftlichen Niedergangs gaben die Eheleute Polke die Wohnung in der Güntzelstraße 7-8 auf und zogen am 1. Juli 1940 zur Untermiete in die Wohnung Elfriede Friedemann (s. dort) in der Stierstraße 19. Am 19. September 1941 wurde Gertrud Polke inhaftiert und zusammen mit ihrer Mutter Emma Rothgießer in "Schutzhaft" genommen. Der Grund hierfür war eine Denunziation, dass die Mutter der Tochter Lebensmittelmarken ohne das "J" ausgehändigt habe. Am 23. September 1941 wurde auch Herbert Polke verhaftet und in das Polizeigewahrsam am Alexanderplatz überführt. Anfang Januar 1942 füllten Gertrud und Herbert Polke ihre Vermögenserklärungen aus. Herbert Polke bezeichnete sich darin als Arbeiter mit einem Wochenlohn von 25,-- RM. Als Vermögenswerte gab er einen Pelzmantel, eine Nähmaschine, einen Kühlschrank sowie einen Perserteppich an. <br />
Der 8. Deportationszug brachte Gertrud und Herbert Polke zusammen mit 1.035 weiteren Personen am 13. Januar 1942 nach Riga. Am 16. Januar 1942 kamen sie auf dem Güterbahnhof Skirotawa an. In eisiger Kälte legten sie ihren Fußmarsch in das Ghetto fort. Im Lager Kaiserwald bei Riga wurden die noch Arbeitsfähigen zur Arbeit verpflichtet. Dort fand Herbert Polke im Dezember 1943 den Tod. Gertrud Polke überlebte als eine von 15 der ehemals 1.035 deportierten Menschen. Sie war nach der Schließung des Rigaer Ghettos im November 1943 in das KZ Riga-Kaiserwald und von dort in das Arbeitslager Riga-Spilve gebracht worden. Im Mai 1944 wurde sie in ein Außenlager des KZs Kauen in Litauen deportiert und nach dessen Auflösung weiter nach Stutthof. Hier arbeitete sie im Arbeitslager Steinort-Elbing. Im Herbst 1944 wurde Gertrud Polke in das Lager Feuerstein (Krzemieniewo) in Polen transportiert. Im Januar 1945 trat sie nach der Flucht der Wachmannschaft von dort alleine die Rückkehr nach Berlin an. Am 23. September 1945 war sie nach einem halbjährigen Fußmarsch durch Polen wieder in Berlin. An ihre großen beruflichen Erfolge konnte sie nach dem Krieg nicht mehr anknüpfen. 1948 erhielt sie eine Knochenplastik am linken Unterarm. Am linken Unterschenkel, aus dem der Knochenspan entnommen wurde, entstand eine Fraktur, die aufgrund der jahrelangen Unterernährung nicht mehr heilte. Sie konnte zwar ihre Entschädigungsansprüche weitgehend durchsetzen, der bürgerliche Wohlstand war aber für immer verloren. Im Jahre 1946 stellte Gertrud Polke einen Antrag auf „Wiedereinräumung der hälftigen Beteiligung“ an dem Kino „Astor“. Der ehemalige Teilhaber verweigerte diese jedoch und überwies Gertrud Polke lediglich kleine monatliche Geldbeträge. Am 16. April 1947 wurde die Klage abgewiesen, da Gertrud Polke keine dokumentarischen Beweise für die Beteiligung ihres Mannes an dem Kino vorzulegen in der Lage war. Sie erhielt lediglich 14.000,-- DM als Entschädigung, das Miteigentum an dem Kino konnte sie aber nicht beweisen. Schließlich erhielt sie noch weitere 4.000,-- DM Entschädigung vom Land Berlin. Ihre am 1. April 1960 gestellten Ansprüche auf Wiedergutmachung wegen abhanden gekommener Schmuckstücke und Tafelsilber wurden schließlich mit 13.500,-- DM abgegolten. Die Geltendmachung von Ansprüchen für den Schmuck ihres Mannes konnte sie hingegen nicht durchsetzen. Sie erhielt in einem Vergleich lediglich 1.500,-- DM. Im Januar 1953 erhielt sie 6.090,-- DM für den erlittenen Freiheitsentzug. Ein weiterer Rechtsstreit befasste sich mit den Möbeln von Gertrud Polke. Ihre Eltern hatten bereits 1933 auf Herausgabe der Möbel gegen ihre Tochter geklagt. Die Eltern hatten ihr diese anlässlich ihrer ersten Hochzeit als Aussteuer zugedacht. Aufgrund des „unsittlichen Lebenswandels“ ihrer Tochter wollte man ihr den Anspruch auf eine Aussteuer nachträglich entziehen. Am 12. April 1934 wurde ihr ehewidriges Verhalten in einem Urteil bestätigt. Am 12. August 1942 wurde die Wohnung der Polkes aufgelöst und die Einrichtungsgegenstände den Eltern übergeben. Gertrud Polke erhielt aber weitere 5.000,-- DM, da die Möbel, die sich noch in der Güntzelstraße 7-8 befunden hatten, „mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit verschleudert“ worden waren. Gertrud Polke starb am 3. Juni 1984. Ihr Grab befindet sich auf dem Jüdischen Friedhof Heerstraße, Block N1, Reihe 5. Ihr Grabstein mit Davidsstern und hebräischen Schriftzeichen trägt die Aufschrift „Meine liebe Gertrud Polke 1905-1984“. <br />

Gertrud Rothgießer wurde am 29. September 1905 als Tochter des jüdischen Oberingenieurs Ivan Rothgießer und seiner „arischen“ Ehefrau Emma Rothgießer in Berlin geboren. Über ihre Kindheit und Jugend ist nichts Näheres bekannt. Ihr erster Ehemann hieß Walter Müller. Von ihm ließ sie sich nach kurzer Zeit bereits wieder scheiden. Gertrud studierte bei Professor Taubert Gesang und Klavier. Als ausgebildete Operettensängerin trat sie in einigen Revuen von Friedrich Holländer unter dem Künstlernamen Gerty Roth auf und übernahm die Hauptrolle der "Schönen Melusine" im Residenztheater. Sie heiratete am 9. Juli 1931 in zweiter Ehe den am 23. September 1891 in Berlin geborenen Filmkaufmann und erfolgreichen Kinotheater-Direktor Herbert Polke. Im gleichen Jahr trat Gertrud Polke zum Judentum über und galt deshalb als "Mischling I. Grades" bzw. als so genannte "Geltungsjüdin". Ihren Mann hatte sie vermutlich bei seiner Arbeit kennen gelernt, denn Herbert Polke war Inhaber der BEBA-Lichtspiele am Kaiserplatz (heute: Bundesplatz) an der Berliner Straße/Ecke Kaiserallee (heute: Bundesallee). Er war Bauherr eines weiteren Kinos an der Kaiserallee/Ecke Berliner Straße, das er 1927 eröffnet hatte. Das "Atrium", das nach dem Vorbild des römischen Kolosseums gebaut wurde, bot Platz für 2.025 Besucher. Ende 1932 gründete er eine eigene Filmproduktionsfirma. Er plante, für die "Süd-Film" das Drehbuch seines Partners Walter Sulke nach dessen Buch "Petroleum" zu verfilmen. Der Tenor Joseph Schmidt sollte die Hauptrolle erhalten und seine Frau Gertrud Polke seine Filmpartnerin werden. Herbert Polke war Mitglied des Verbandes der Berliner Theaterdirektoren. Aufgrund des Reichskulturkammergesetzes vom 22. September 1933 wurde er jedoch aus dem Verband ausgeschlossen. Das bedeutete auch das berufliche Aus für die Sängerin Gertrud Polke.
Außerdem zog die Filmfirma im Frühjahr 1933 den Auftrag mit der Begründung zurück, dass sie von jüdischen Produzenten keine Filme mehr abnehmen könne. Ein weiteres Lichtspieltheater, die ehemaligen "Nelson-Künstlerspiele", ließ Herbert Polke deshalb mit Hilfe des "arischen" Strohmanns Max Hauptmann bauen. Im Mai 1934 übernahm er zu gleichen Teilen die Leitung des Kinos „Astor“ am Kurfürstendamm/Ecke Fasanenstraße gemeinsam mit seinem „arischen“ Partner. Nach Außen trat Max Hauptmann als Alleininhaber des Kinos auf, bis 1936 betrieb man aber das Unternehmen gemeinsam. Das Ehepaar Polke wohnte zu dieser Zeit in Wilmersdorf in der Güntzelstraße 7-8, verfügte über mehrere Hausangestellte und einen Chauffeur für "den Benz". Ende Februar 1936 wurde Herbert Polke offiziell von der Leitung des Kinos „Astor“ ausgeschlossen. Danach arbeitete er nur noch gegen Barzahlung in beratener Tätigkeit für das Kino. Aufgrund des wirtschaftlichen Niedergangs gaben die Eheleute Polke die Wohnung in der Güntzelstraße 7-8 auf und zogen am 1. Juli 1940 zur Untermiete in die Wohnung Elfriede Friedemann (s. dort) in der Stierstraße 19. Am 19. September 1941 wurde Gertrud Polke inhaftiert und zusammen mit ihrer Mutter Emma Rothgießer in "Schutzhaft" genommen. Der Grund hierfür war eine Denunziation, dass die Mutter der Tochter Lebensmittelmarken ohne das "J" ausgehändigt habe. Am 23. September 1941 wurde auch Herbert Polke verhaftet und in das Polizeigewahrsam am Alexanderplatz überführt. Anfang Januar 1942 füllten Gertrud und Herbert Polke ihre Vermögenserklärungen aus. Herbert Polke bezeichnete sich darin als Arbeiter mit einem Wochenlohn von 25,-- RM. Als Vermögenswerte gab er einen Pelzmantel, eine Nähmaschine, einen Kühlschrank sowie einen Perserteppich an.
Der 8. Deportationszug brachte Gertrud und Herbert Polke zusammen mit 1.035 weiteren Personen am 13. Januar 1942 nach Riga. Am 16. Januar 1942 kamen sie auf dem Güterbahnhof Skirotawa an. In eisiger Kälte legten sie ihren Fußmarsch in das Ghetto fort. Im Lager Kaiserwald bei Riga wurden die noch Arbeitsfähigen zur Arbeit verpflichtet. Dort fand Herbert Polke im Dezember 1943 den Tod. Gertrud Polke überlebte als eine von 15 der ehemals 1.035 deportierten Menschen. Sie war nach der Schließung des Rigaer Ghettos im November 1943 in das KZ Riga-Kaiserwald und von dort in das Arbeitslager Riga-Spilve gebracht worden. Im Mai 1944 wurde sie in ein Außenlager des KZs Kauen in Litauen deportiert und nach dessen Auflösung weiter nach Stutthof. Hier arbeitete sie im Arbeitslager Steinort-Elbing. Im Herbst 1944 wurde Gertrud Polke in das Lager Feuerstein (Krzemieniewo) in Polen transportiert. Im Januar 1945 trat sie nach der Flucht der Wachmannschaft von dort alleine die Rückkehr nach Berlin an. Am 23. September 1945 war sie nach einem halbjährigen Fußmarsch durch Polen wieder in Berlin. An ihre großen beruflichen Erfolge konnte sie nach dem Krieg nicht mehr anknüpfen. 1948 erhielt sie eine Knochenplastik am linken Unterarm. Am linken Unterschenkel, aus dem der Knochenspan entnommen wurde, entstand eine Fraktur, die aufgrund der jahrelangen Unterernährung nicht mehr heilte. Sie konnte zwar ihre Entschädigungsansprüche weitgehend durchsetzen, der bürgerliche Wohlstand war aber für immer verloren. Im Jahre 1946 stellte Gertrud Polke einen Antrag auf „Wiedereinräumung der hälftigen Beteiligung“ an dem Kino „Astor“. Der ehemalige Teilhaber verweigerte diese jedoch und überwies Gertrud Polke lediglich kleine monatliche Geldbeträge. Am 16. April 1947 wurde die Klage abgewiesen, da Gertrud Polke keine dokumentarischen Beweise für die Beteiligung ihres Mannes an dem Kino vorzulegen in der Lage war. Sie erhielt lediglich 14.000,-- DM als Entschädigung, das Miteigentum an dem Kino konnte sie aber nicht beweisen. Schließlich erhielt sie noch weitere 4.000,-- DM Entschädigung vom Land Berlin. Ihre am 1. April 1960 gestellten Ansprüche auf Wiedergutmachung wegen abhanden gekommener Schmuckstücke und Tafelsilber wurden schließlich mit 13.500,-- DM abgegolten. Die Geltendmachung von Ansprüchen für den Schmuck ihres Mannes konnte sie hingegen nicht durchsetzen. Sie erhielt in einem Vergleich lediglich 1.500,-- DM. Im Januar 1953 erhielt sie 6.090,-- DM für den erlittenen Freiheitsentzug. Ein weiterer Rechtsstreit befasste sich mit den Möbeln von Gertrud Polke. Ihre Eltern hatten bereits 1933 auf Herausgabe der Möbel gegen ihre Tochter geklagt. Die Eltern hatten ihr diese anlässlich ihrer ersten Hochzeit als Aussteuer zugedacht. Aufgrund des „unsittlichen Lebenswandels“ ihrer Tochter wollte man ihr den Anspruch auf eine Aussteuer nachträglich entziehen. Am 12. April 1934 wurde ihr ehewidriges Verhalten in einem Urteil bestätigt. Am 12. August 1942 wurde die Wohnung der Polkes aufgelöst und die Einrichtungsgegenstände den Eltern übergeben. Gertrud Polke erhielt aber weitere 5.000,-- DM, da die Möbel, die sich noch in der Güntzelstraße 7-8 befunden hatten, „mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit verschleudert“ worden waren. Gertrud Polke starb am 3. Juni 1984. Ihr Grab befindet sich auf dem Jüdischen Friedhof Heerstraße, Block N1, Reihe 5. Ihr Grabstein mit Davidsstern und hebräischen Schriftzeichen trägt die Aufschrift „Meine liebe Gertrud Polke 1905-1984“.