Rosa Hirschweh geb. Jacobsberg

Verlegeort
Wielandstr. 31
Bezirk/Ortsteil
Charlottenburg
Verlegedatum
21. Mai 2008
Geboren
27. September 1870 in Zinten (Ostpreußen) / Kornewo
Deportation
am 25. Januar 1942 nach Riga
Ermordet

Rosa Hirschweh wurde als Rosa Jacobsberg (meistens mit c geschrieben) am 27. September 1870 in Zinten nahe Königsberg geboren. Heute heißt der Ort Kornewo und liegt im Südwesten der russischen Exklave Kaliningrad. Dokumentiert ist in Zinten, seinerzeit eine Stadt mit über 3000 Einwohnern, eine Familie Jacobsberg. Wolff Jacobsberg – vielleicht Rosas Großvater, vielleicht ein Onkel – gründete dort 1862 ein Kaufhaus, Am Markt 16/17. Max Jacobsberg führte das Geschäft schon in den 1870er Jahren weiter, bis es 1938 unter den Nationalsozialisten „arisiert“ wurde. In Berliner Adressbüchern tauchte erst 1885 ein Zacharias Jacobsberg auf, mit einer Kleiderhandlung in der Anhaltinischen Straße 15. Man kann vermuten, dass dies Rosas Vater war, inzwischen mit seiner Familie nach Berlin übergesiedelt. Zu diesem Zeitpunkt war Rosa 15 Jahre alt. Ebenfalls in Berlin lebte ein gewisser Simon Hirschweh, von Beruf „Reisender“, das heißt, Handelsvertreter. Vielleicht lernte er über Geschäftsbeziehungen zu Zacharias Jacobsberg dessen Tochter kennen, einige Jahre später jedenfalls, am 22. März 1890 oder 1891, heiratete Rosa den acht Jahre älteren Simon. Simon Hirschweh hatte ein Manufakturwarengeschäft in der Landsberger Straße 21, wo das Paar wohl auch zunächst wohnte. Schon bald bezogen sie aber eine vom Laden getrennte Wohnung in der gleichen Straße Nr. 15. Am 4. Januar 1893 wurde ihre Tochter Gertrud geboren, ein Jahr später, am 7. Januar 1894, kam Curt Hirschweh zur Welt. Hirschwehs zogen in eine vermutlich größere Wohnung, ein paar Häuser weiter in die Nr. 35.<br />
<br />
Mit Beginn des Krieges gab Simon den Laden auf und zog 1915 mit Frau und Sohn nach Charlottenburg, in die Mommsenstraße 10. Gertrud hatte bereits 1913 geheiratet und lebte in Königsberg. Simon bezeichnete sich nun als Handelsvertreter. Auch Curt ließ sich ins Adressbuch eintragen, Beruf: Pressefachmann. Im März 1932 starb Simon Hirschweh, und 1934 zog Rosa mit Curt in eine 3-Zimmer-Wohnung in der Wielandstraße 31. 1941 schrieb Curt: „Meine Mutter ist schwer nervenleidend und körperbehindert und wird von mir betreut um nicht jeden Moment in Gefahr zu geraten“. Unklar bleibt, seit wann Rosa betreuungsbedürftig war. <br />
<br />
Die Lebensumstände für Juden im nationalsozialistischen Deutschland wurden durch antisemitische Verordnungen und Propaganda zusehends schwieriger, besonders sicherlich für Menschen mit einer Behinderung. Curt wird 1937 letztmalig im Adressbuch aufgeführt, obwohl er mit seiner Mutter weiterhin in der Wielandstraße wohnte. Sicherlich gab es für einen jüdischen Werbefachmann und Journalisten kaum mehr Erwerbsmöglichkeiten. Er und seine Mutter konnten sich Dank des Vermögens von Simon Hirschweh und eines nach Uruguay ausgewanderten Bruders von Rosa, Conrad Jacobsberg, über Wasser halten, obwohl nach dem Pogrom vom November 1938 die Einschränkungen für Juden noch drastisch verschärft wurden. Im März 1939 musste Rosa Schmuck und Silbersachen mit Ausnahme von Trauringen und Essbesteck (zwei vierteilige Bestecke pro Person) in der Pfandleihstelle Jägerstraße abgeben. Sie erhielt 600.- RM, der tatsächliche Wert wurde nach dem Zweiten Weltkrieg von einem Sachverständigen auf 4560 DM geschätzt. Tochter Gertrud erhielt diesen Betrag nach dem Krieg von der Wiedergutmachungsbehörde ausgezahlt.<br />
<br />
Curt wurde nicht wie andere Juden zur Zwangsarbeit herangezogen, da er seine Mutter betreuen musste. Ende Dezember 1941 aber hatten beide die „Vermögenserklärung“ auszufüllen, die der Vorbote der Deportation war. Aus ihr ist zu entnehmen, dass Rosa und Curt, im Unterschied zu anderen ihrer Leidensgenossen, noch vergleichbar viel Geschirr, Wäsche und Kleidung besaßen sowie auch einige Hundert Reichsmark Bargeld. All das mussten sie kurz darauf zurücklassen, als sie Anfang Januar in der als Sammellager missbrauchten Synagoge in der Levetzowstraße 7/8 interniert wurden. Als sechs Wochen später ihr Besitz von der Oberfinanzdirektion geschätzt wurde, musste die Liste bereits berichtigt werden, da etliches, vor allem Kleidungsstücke, „fehlte“. Ob sich Beamte oder Nachbarn „bedient“ hatten, lässt sich heute natürlich nicht mehr feststellen. Der Erlös, den sich die Reichskasse schließlich einverleibte, wurde auf 1785 RM festgesetzt. <br />
<br />
Rosa und Curt Hirschweh wurden von dem Sammellager aus am 25. Januar 1942 zum Bahnhof Grunewald gebracht und dort vom Gleis 17 mit 1042 anderen Opfern in das Ghetto von Riga deportiert. Das Ghetto Riga war von den Deutschen nach der Einnahme der Stadt im Juli 1941 eingerichtet worden. Fast 30000 lettische Juden waren dort auf engstem Raum und unter erbärmlichen Bedingungen eingepfercht. Ende November und Anfang Dezember des Jahres ließ die SS über 90% von ihnen ermorden – um Platz für die zu deportierenden „Reichsjuden“ zu schaffen. Die Menschen in dem ersten Zug aus Berlin, der am 30. November ankam, wurden alle ebenfalls sofort erschossen, eine „Eigenmächtigkeit“ des SS-Führers Friedrich Jeckeln, die ihm eine Rüge von Himmler einbrachte. Himmler hatte dieses Schicksal nur „Arbeitsunfähigen“ zugedacht.<br />
<br />
Curt und Rosas Zug erreichte Riga am 30. Januar. Wir wissen nicht, ob Rosa dort überhaupt lebend ankam, denn der Zug bestand aus ungeheizten Güterwagen und viele Insassen erfroren bereits auf der Fahrt. Zahlreiche andere, zumal arbeitsunfähige, zu denen sie sicherlich gezählt wurde, wurden bei Ankunft erschossen. Rosa Hirschweh war 71 Jahre alt. <br />
<br />
Der 48-jährige Curt Hirschweh, der die Ermordung seiner Mutter erleben musste, wurde wohl „verschont“, da es noch im Juni 1943 ein letztes Lebenszeichen von ihm gegeben haben soll. Das Leben im Ghetto war aber sehr hart: Zu sechst hatten sie sich zwei Zimmer zu teilen, überall sah man noch Spuren der Massenermordung der lettischen Juden. Ernährung und Hygiene waren katastrophal, im Winter gab es kein Wasser, da die Rohre eingefroren waren. Zudem wurden die Insassen zu harter Zwangsarbeit herangezogen. Von den 1044 Deportierten, die am 25. Januar 1942 Berlin verlassen hatten, überlebten nur 13. Curt Hirschweh war nicht unter ihnen. Sein Todesdatum ist unbekannt.<br />

Rosa Hirschweh wurde als Rosa Jacobsberg (meistens mit c geschrieben) am 27. September 1870 in Zinten nahe Königsberg geboren. Heute heißt der Ort Kornewo und liegt im Südwesten der russischen Exklave Kaliningrad. Dokumentiert ist in Zinten, seinerzeit eine Stadt mit über 3000 Einwohnern, eine Familie Jacobsberg. Wolff Jacobsberg – vielleicht Rosas Großvater, vielleicht ein Onkel – gründete dort 1862 ein Kaufhaus, Am Markt 16/17. Max Jacobsberg führte das Geschäft schon in den 1870er Jahren weiter, bis es 1938 unter den Nationalsozialisten „arisiert“ wurde. In Berliner Adressbüchern tauchte erst 1885 ein Zacharias Jacobsberg auf, mit einer Kleiderhandlung in der Anhaltinischen Straße 15. Man kann vermuten, dass dies Rosas Vater war, inzwischen mit seiner Familie nach Berlin übergesiedelt. Zu diesem Zeitpunkt war Rosa 15 Jahre alt. Ebenfalls in Berlin lebte ein gewisser Simon Hirschweh, von Beruf „Reisender“, das heißt, Handelsvertreter. Vielleicht lernte er über Geschäftsbeziehungen zu Zacharias Jacobsberg dessen Tochter kennen, einige Jahre später jedenfalls, am 22. März 1890 oder 1891, heiratete Rosa den acht Jahre älteren Simon. Simon Hirschweh hatte ein Manufakturwarengeschäft in der Landsberger Straße 21, wo das Paar wohl auch zunächst wohnte. Schon bald bezogen sie aber eine vom Laden getrennte Wohnung in der gleichen Straße Nr. 15. Am 4. Januar 1893 wurde ihre Tochter Gertrud geboren, ein Jahr später, am 7. Januar 1894, kam Curt Hirschweh zur Welt. Hirschwehs zogen in eine vermutlich größere Wohnung, ein paar Häuser weiter in die Nr. 35.

Mit Beginn des Krieges gab Simon den Laden auf und zog 1915 mit Frau und Sohn nach Charlottenburg, in die Mommsenstraße 10. Gertrud hatte bereits 1913 geheiratet und lebte in Königsberg. Simon bezeichnete sich nun als Handelsvertreter. Auch Curt ließ sich ins Adressbuch eintragen, Beruf: Pressefachmann. Im März 1932 starb Simon Hirschweh, und 1934 zog Rosa mit Curt in eine 3-Zimmer-Wohnung in der Wielandstraße 31. 1941 schrieb Curt: „Meine Mutter ist schwer nervenleidend und körperbehindert und wird von mir betreut um nicht jeden Moment in Gefahr zu geraten“. Unklar bleibt, seit wann Rosa betreuungsbedürftig war.

Die Lebensumstände für Juden im nationalsozialistischen Deutschland wurden durch antisemitische Verordnungen und Propaganda zusehends schwieriger, besonders sicherlich für Menschen mit einer Behinderung. Curt wird 1937 letztmalig im Adressbuch aufgeführt, obwohl er mit seiner Mutter weiterhin in der Wielandstraße wohnte. Sicherlich gab es für einen jüdischen Werbefachmann und Journalisten kaum mehr Erwerbsmöglichkeiten. Er und seine Mutter konnten sich Dank des Vermögens von Simon Hirschweh und eines nach Uruguay ausgewanderten Bruders von Rosa, Conrad Jacobsberg, über Wasser halten, obwohl nach dem Pogrom vom November 1938 die Einschränkungen für Juden noch drastisch verschärft wurden. Im März 1939 musste Rosa Schmuck und Silbersachen mit Ausnahme von Trauringen und Essbesteck (zwei vierteilige Bestecke pro Person) in der Pfandleihstelle Jägerstraße abgeben. Sie erhielt 600.- RM, der tatsächliche Wert wurde nach dem Zweiten Weltkrieg von einem Sachverständigen auf 4560 DM geschätzt. Tochter Gertrud erhielt diesen Betrag nach dem Krieg von der Wiedergutmachungsbehörde ausgezahlt.

Curt wurde nicht wie andere Juden zur Zwangsarbeit herangezogen, da er seine Mutter betreuen musste. Ende Dezember 1941 aber hatten beide die „Vermögenserklärung“ auszufüllen, die der Vorbote der Deportation war. Aus ihr ist zu entnehmen, dass Rosa und Curt, im Unterschied zu anderen ihrer Leidensgenossen, noch vergleichbar viel Geschirr, Wäsche und Kleidung besaßen sowie auch einige Hundert Reichsmark Bargeld. All das mussten sie kurz darauf zurücklassen, als sie Anfang Januar in der als Sammellager missbrauchten Synagoge in der Levetzowstraße 7/8 interniert wurden. Als sechs Wochen später ihr Besitz von der Oberfinanzdirektion geschätzt wurde, musste die Liste bereits berichtigt werden, da etliches, vor allem Kleidungsstücke, „fehlte“. Ob sich Beamte oder Nachbarn „bedient“ hatten, lässt sich heute natürlich nicht mehr feststellen. Der Erlös, den sich die Reichskasse schließlich einverleibte, wurde auf 1785 RM festgesetzt.

Rosa und Curt Hirschweh wurden von dem Sammellager aus am 25. Januar 1942 zum Bahnhof Grunewald gebracht und dort vom Gleis 17 mit 1042 anderen Opfern in das Ghetto von Riga deportiert. Das Ghetto Riga war von den Deutschen nach der Einnahme der Stadt im Juli 1941 eingerichtet worden. Fast 30000 lettische Juden waren dort auf engstem Raum und unter erbärmlichen Bedingungen eingepfercht. Ende November und Anfang Dezember des Jahres ließ die SS über 90% von ihnen ermorden – um Platz für die zu deportierenden „Reichsjuden“ zu schaffen. Die Menschen in dem ersten Zug aus Berlin, der am 30. November ankam, wurden alle ebenfalls sofort erschossen, eine „Eigenmächtigkeit“ des SS-Führers Friedrich Jeckeln, die ihm eine Rüge von Himmler einbrachte. Himmler hatte dieses Schicksal nur „Arbeitsunfähigen“ zugedacht.

Curt und Rosas Zug erreichte Riga am 30. Januar. Wir wissen nicht, ob Rosa dort überhaupt lebend ankam, denn der Zug bestand aus ungeheizten Güterwagen und viele Insassen erfroren bereits auf der Fahrt. Zahlreiche andere, zumal arbeitsunfähige, zu denen sie sicherlich gezählt wurde, wurden bei Ankunft erschossen. Rosa Hirschweh war 71 Jahre alt.

Der 48-jährige Curt Hirschweh, der die Ermordung seiner Mutter erleben musste, wurde wohl „verschont“, da es noch im Juni 1943 ein letztes Lebenszeichen von ihm gegeben haben soll. Das Leben im Ghetto war aber sehr hart: Zu sechst hatten sie sich zwei Zimmer zu teilen, überall sah man noch Spuren der Massenermordung der lettischen Juden. Ernährung und Hygiene waren katastrophal, im Winter gab es kein Wasser, da die Rohre eingefroren waren. Zudem wurden die Insassen zu harter Zwangsarbeit herangezogen. Von den 1044 Deportierten, die am 25. Januar 1942 Berlin verlassen hatten, überlebten nur 13. Curt Hirschweh war nicht unter ihnen. Sein Todesdatum ist unbekannt.