Betty Becker kam am 25. Juni 1878 in Breslau/Niederschlesien auf die Welt. Ihre Eltern waren der Kaufmann Hermann Becker und seine Frau Ernestine, geb. Stahl. Betty hatte noch eine Schwester, Else, die am 9. Dezember 1880 geboren wurde.
Beide Schwestern zogen ohne ihre Eltern nach Berlin, Else heiratete dort 1913 den Kaufmann David Chaim und lebte mit ihm in der Kaiserallee 48a (heute Bundesallee). Betty wohnte bei ihnen und lernte so Davids Bruder Simon kennen. Simon Chaim war Schneider und hatte ganz in der Nähe des Bruders, in der Trautenaustraße 1, direkt am Prager Platz seine Wohnung. Betty und Simon heirateten 1919. Die Eltern Becker waren zu der Zeit längst in Breslau verstorben.
Betty hatte 1897 als 19-Jährige eine gute Anstellung gefunden. Der Fabrikant Julius Philippi, Eigentümer des Hauses Trautenaustraße 20, und seine Frau Jenny mit den zwei kleinen Kindern Marcelle und Edgar beschäftigten sie als „Stütze“, wie es später in der Heiratsurkunde hieß, oder „Gouvernante“, wie Marcelle sie bezeichnete. 22 Jahre war Betty Becker im Haushalt der Philippis zur vollsten Zufriedenheit der Familie tätig. Die Philippis wussten Bettys jahrelange treue Dienste sehr zu schätzen, sie hatte schließlich Marcelle und Edgar vom Kleinkind- bis ins Erwachsenenalter betreut und begleitet. Als Betty am 10. April 1919 Simon Chaim heiratete, stellten sie dem Ehepaar eine 2-Zimmerwohnung mit großer Küche zur Verfügung, die sie von ihrer eigenen 10-Zimmerwohnung abteilten. Auch bei der Einrichtung der Wohnung erfuhren die Chaims große Unterstützung durch Jenny Philippi.
Betty war 45 Jahre und Simon 44 Jahre alt, als am 20. Juli 1923 ihr einziges Kind Edgar geboren wurde. Edgar besuchte von 1930 bis 1934 die 4. öffentliche Volksschule in der Nachodstraße, danach bis 1938 die jüdische Volksschule im Gebäude der Synagoge in der Prinzregentenstraße. Er wechselte dann auf die ORT Schule, um den Beruf des Werkzeugschlossers zu erlernen. Diese Schule gehörte dem in Russland gegründeten Verein ORT und war eine Mischung aus Schulbetrieb und Berufsausbildung. Als die Institution im Rahmen der Pogrome am 10. November 1938 vorübergehend schloss, blieb Edgar ganz zu Hause.
Am 30. Januar 1939 begann für den damals 15-Jährigen eine jahrelange Odyssee durch Deutschland, Belgien und Frankreich. Edgar überlebte die Verfolgung in Frankreich.
Ob Betty und Simon Chaim wussten, wo sich ihr Sohn jeweils aufhielt und wie es ihm erging, ist nicht bekannt.
Die folgenden 4 Jahre waren, wie für alle deutschen Juden, überschattet von den tiefen Einschnitten in das Alltagsleben und den aktiven Verfolgungen durch das Nazi Regime. Simon Chaim, der bis dahin noch zu Hause als Schneider tätig sein konnte und in der Küche eine kleine Werkstatt eingerichtet hatte, wurde nun zur Zwangsarbeit in der „Deutschen Waffen- und Munitionsfabrik“ herangezogen. Ob Betty ebenfalls Zwangsarbeit leisten musste, ist nicht überliefert. Simon wurde im Rahmen der „Fabrikaktion“ verhaftet, ins Sammellager in der Levetzowstraße gebracht und am 3. März 1943 nach Auschwitz deportiert und im Vernichtungslager ermordet. Noch im Sammellager hatte er am 1. März seine „Vermögenserklärung“ auszufüllen und zu unterzeichnen. Betty hingegen wurde 3 Tage später, am 6. März, mit dem 35. Osttransport in das Vernichtungslager deportiert und dort ermordet.