Henriette Hertha Löwenstein und Denny Löwenstein Trautenaustraße 20 und Damaschkestraße 25
Am 12. November 1919 wurde in dem kleinen niedersächsischen Dorf Steinbergen im Kreis Bückeburg/Fürstentum Schaumburg Lippe Henriette Hertha Löwenstein geboren.
Im gesamten Fürstentum Schaumburg Lippe lebten um 1900 nur 257 Juden und im Dorf Steinbergen waren es sechs – die Familie Löwenstein. Der Vater Adolf Löwenstein (*19. März 1869) war der Schlachter des Dorfes, seine Frau Rosa Löwenstein geb. Brill (* 11. April 1879) war Mutter von 3 Kindern. Die Älteste war Henriette, ihr folgten Hermann (* 5. April 1922) und Willi (* 30. März 1926). Ebenfalls in Steinbergen lebte Adolfs Bruder Otto (*4. November 1879). Otto war ledig geblieben und von Beruf Viehhändler und Schlachter.
Hermann Löwenstein arbeitete im benachbarten Steinberg im Baugeschäft „Nordmeier“ als Arbeiter, Willi war in der Schlossgärtnerei des Schlosses Bückeburg beschäftigt und Henriette machte eine Schneiderlehre.
Henriette zog am 22. November 1938 von Steinbergen nach Berlin in die Trautenaustraße 20. Ihr Umzug erfolgte kurz nach den Novemberpogromen, von denen das Geschäft ihres Vaters nicht verschont geblieben sein dürfte. Vermutlich konnte sie ihren Beruf auch nicht ausüben. Als Schneiderin hat sie sich sicherlich in Berlin eine Anstellung in einer der zahlreichen Textil- und Bekleidungsfirmen versprochen.
Von Henriette sind in Berlin drei in der Meldekartei eingetragene Adressen bekannt. Zur Zeit der Volkszählung im Mai 1939, in der Juden gesondert erfasst wurden, wohnte sie noch in der Trautenaustraße 20, in der viele jüdische Familien in großen Wohnungen lebten und häufig Zimmer untervermieteten. Hier wurde auch ihr Sohn Denny geboren. Er kam am 3. November 1940 auf die Welt. Henriette war bei seiner Geburt gerade 21 Jahre alt und unverheiratet. Vermutlich wurde ihr das Zimmer gekündigt und sie musste mit dem Baby ausziehen, denn ab dem 3. Dezember 1940 war sie als Untermieterin bei Baruch in der Düsseldorfer Straße 73 gemeldet. Dort wohnte sie zwei Jahre, bis sie am 19. Mai 1942 in die Uhlandstraße 168 zur Untermiete bei Kellermann einzog. Von dieser Adresse aus wurde sie einen Monat später deportiert.
Der Aufenthalt ihres kleinen Sohnes wirft Fragen auf. Denny Löwensteins Meldeadresse war die Küstriner Straße 23 (heute Damaschkestraße 25) – lt. Meldekarte jedoch nicht die seine Mutter. Die Listen der Hausbewohner der Jahre 1940 bis 1942 in den Adressbüchern lassen keinen Rückschluss auf eine familiäre Verbindung zwischen Henriette Löwenstein und einem der Mieter des Hauses zu. Es kann deshalb nicht festgestellt werden, ob und bei wem sich Henriette und ihr Kind in der Küstriner Straße 23 aufgehalten haben.
Am 23. Juni 1942 wurde Henriette Löwenstein mit der Nr. 75 auf die Liste der Deportierten nach Minsk gesetzt. Denny hingegen stand als Letzter auf der Transportliste mit einer ungewöhnlich spärlichen Angabe: „Nr. 206 Löwenstein, Denny, Kind“. Vermutlich wurden Mutter und Sohn getrennt aus den Wohnungen zur Deportation abgeholt.
Vielleicht hat Henriette ihr Kind an diesem Tag gar nicht mehr gesehen. In der als Sammelstelle für Deportationen missbrauchten Synagoge in der Levetzowstraße wurden die Kinder von ihren Eltern separiert und unter Bewachung gestellt.
„Die Kinder waren unter Betreuung von Kindergärtnerinnen der Jüdischen Gemeinde im Trauzimmer der Synagoge untergebracht. Der ‚Kindersaal‘ war mit aufgestockten Feldbetten auf 20 Kinder ausgerichtet, beherbergte aber über 40 Kinder……. Die Kleinen weinten und riefen nach ihren Müttern, von denen man sie grausam im gleichen Hause getrennt hatte.“
Mit dem 16. Berliner Osttransport „Da 40“ wurden Henriette Löwenstein und ihr 1½ -jähriger Sohn Denny am 24. Juni nach Weißrussland deportiert. Dieser Zug war Teil eines Koppelzuges mit über 200 Berliner Insassen, der von Königsberg nach Minsk fuhr. In diesem Transport befanden sich auch die Vorstandsmitglieder der Jüdischen Gemeinde Berlin Cora Berliner, Arthur Lilienthal und Paula Fürst. Die Fahrt dauerte 2 Tage und Nächte. Sämtliche Insassen des Sonderzugs DA 40 aus Königsberg – unter ihnen Henriette und Denny Löwenstein wurden am Morgen des 26. Juni 1942 auf dem Minsker Güterbahnhof ausgeladen. Sie wurden mittels Lastwagen oder zu Fuß in den Vorort Maly Trostinez weggeführt und sodann an den Gruben durch Schusswaffen oder in Gaslastwagen ermordet.
Am 11. Juli 1942 wurde Henriettes Familie, die Eltern Adolf und Rosa und die Brüder Hermann und Willi, sowie der Onkel Otto nach Auschwitz deportiert. Der Transport startete am 10. Juli in Bielefeld, es wurden Menschen aus den Gestapobereichen Osnabrück und Münster zugeladen. Der Zug fuhr von Bielefeld über Hamburg mit Zwischenhalt in Ludwigslust nach Berlin und weiter in das Vernichtungslager Auschwitz, wo die gesamte Familie Löwenstein ermordet wurde.
Dennys Vater ist bis heute unbekannt. Ein Eintrag auf der Rückseite der Karteikarte des Oberfinanzpräsidenten „Dep.Besch. am 2.9.1954 an F.H. Utecht, Essen/Hfm“ könnte möglicherweise einen Hinweis auf eine Vaterschaft geben. Die Spur ist jedoch nicht weiterzuverfolgen, da die Akte zur Beschlagnahme jüdischen Vermögens, die sogenannte „Vermögenserklärung“ nicht mehr vorhanden ist.
Am 7. September 2022 wurden für Henriette und Denny Löwenstein vor dem Haus Damaschkestraße 25 Stolpersteine verlegt. Denny war unter der damaligen Adresse Küstriner Straße 23 polizeilich gemeldet, nicht aber Henriette. Da sie zusammen deportiert wurden, verlegte man auch für Mutter und Sohn Stolpersteine vor diesem Haus. Damals war nicht bekannt, dass Henriette Löwenstein bereits 2012 mit einem Stolperstein vor dem Haus Trautenaustraße 20 gewürdigt worden war. Die Biografie erscheint deshalb unter beiden Adressen.