Erna Marchand kam am 26. Juni 1892 als Tochter des Kaufmanns Daniel Kasper und der Johanna Kasper (geb. Cohn) im westpreußischen Ort Gorzno (heute Górzno/Polen) auf die Welt. Gorzno war/ist eine zwischen zwei Seen gelegene Kleinstadt im Kreis Strasburg (Bronica/Polen), die um 1890 ungefähr 1600 Einwohnerinnen und Einwohner hatte: Deutsche (meist Protestanten), Polen (meist Katholiken) und Juden, die meist Deutsch sprachen. Seit 1849 gab es eine Synagoge.
Ihr 1860 geborener Vater kam ursprünglich aus dem Kreis Stuhm (Sztum/Polen), ebenfalls in der damaligen Provinz Westpreußen, aber im Gegensatz zu Gorzno nach 1920 beim Deutschen Reich geblieben. Ihre Eltern hatten in Gorzno geheiratet.
Erna blieb – wie in der Heiratsurkunde vermerkt – „ohne Beruf“ und lebte bis zur Hochzeit in Gorzno. Das heißt auch, dass sie hier den Ersten Weltkrieg erlebte: Der Ort wurde bereits kurz nach Kriegsbeginn von der russischen Armee besetzt.
Am 23. Juli 1919 heiratete Erna Kasper in Berlin den 1886 geborenen Kaufmann Dagobert Marchand, dessen Mutter ebenfalls aus Gorzno stammte. Ihr Ehemann war in der Kleinstadt Wesel am Niederrhein als Sohn eines Viehhändlers und Metzgers aufgewachsen und hatte als „Handlungsgehilfe“ gearbeitet. Im Ersten Weltkrieg war er Soldat. Ihr Schwiegervater war bereits tot, aber die Schwiegermutter lebte noch als Witwe in Wesel. Die Mutter von Erna Marchand war 1919 bereits gestorben, ihr Vater lebte in Gorzno. Trauzeuge war der 1889/1890 geborene Artur Kasper (ihr Bruder?), der damals bereits in Berlin-Schöneberg wohnte und bis zu seinem Tod im Jahr 1930 in der Hauptstadt blieb. (Seine Witwe Gertrud Kasper wurde am 2. März 1943 nach Auschwitz deportiert und dort ermordet.).
Erna und Dagobert Marchand blieben ebenfalls in Berlin, wo sie beide noch andere Verwandte besaßen. Nach der Hochzeit zog das Ehepaar in die Berliner Straße 22 in Berlin-Wilmersdorf. Dort sollten sie bis zum Ende der Weimarer Republik wohnen. Die Ehe blieb kinderlos. Dagobert Marchand übernahm in dem Haus an der Ecke zur Nassauischen Straße ein Geschäft für „Manufakturwaren“, „Damenputz und -hüte“, „Damenkonfektion“ – die Bezeichnungen im Berliner Adressbuch wechselten im Laufe der Jahre. Wahrscheinlich hat Erna Marchand im Geschäft mitgearbeitet. Die Firma ging 1926 in Konkurs, aber das Ehepaar behielt seine Wohnung.
Erna Marchands Vater Daniel Kasper war 1920 – nachdem Gorzno polnisch geworden war – ebenfalls nach Berlin gekommen und lebte als Kaufmann im Bezirk Charlottenburg. 1931 starb er im Israelitischen Krankenheim in der Elsässer Straße 85 (heute Torstraße 146).
1932 zogen Erna Marchand und ihr Ehemann in eine 1930/31 gebaute Wohnanlage am Schoelerpark und an der Wilhelmsaue. Die Wohnungen waren relativ klein (anderthalb bis drei Zimmer), besaßen aber Balkone oder im Erdgeschoss verglaste Veranden. Die neue Anschrift war Schoelerpark 14. In der grünen Umgebung blieben sie bis 1939.
Danach wechselte das Ehepaar ein letztes Mal die Wohnung: Bis zur Deportation lebte es in der Wilhelmsaue 136. Die Wohnung im vierten Stock des ersten Hinterhofs teilten Erna und Dagobert Marchand mit Erich Hamel (1893–1943), einem Freund.
Erna Marchand war zuletzt Zwangsarbeiterin in der Firma von Georg Kappel, Berliner Straße 50, einem Kartoffelschälbetrieb – das bedeutete zu jener Zeit wahrscheinlich mühsame und schmutzige Handarbeit.
Am 3. März 1943 wurde Erna Marchand im Rahmen der „Fabrikaktion“ nach Auschwitz deportiert und dort ermordet. Sie hatte über 20 Jahre in Berlin-Wilmersdorf gelebt. Mit demselben Transport wurde auch ihr Untermieter Erich Hamel in das Vernichtungslager verschleppt.
Ihr Ehemann Dagobert Marchand wurde zwei Wochen später, am 17. März 1943, – auch dies noch Teil der „Fabrikaktion“ – nach Theresienstadt deportiert: Dort verlor er am 21. April 1944 sein Leben.